Vortrag von Hans See                          Heinrich Heines » Heiliger Rock «

Ankündigung: Freitag, 25. Januar 2013, 19.30 Uhr im Klingspor Museum Offenbach, Herrnstraße 80 Klingspor Museum und Heine-Club laden gemeinsam ein: Vortrag und Besichtigung. 

Heinrich Heines „Heiliger Rock“

 

Über die nachhaltige Bedeutung der gesammelten Werke eines deutschen Poeten, Querdenkers und Rebellen

Vortrag von Prof. Dr. Hans See (Maintal)

Vorstellung der „Heine Jacke“ von Burgi Kühnemann durch Dr. Stefan Soltek.

 

Was hätte der „Querdenker, Poet und Rebell“ Heinrich Heine gesagt, hätte ihm ein prophetischer Zeitgenosse geweissagt, dass mehr als 150 Jahre nach seinem Tod in Offenbach am Main in einem Museum für Buchkunst und Lythographie, einer seiner Röcke ausgestellt und Anlass für eine Veranstaltung über ihn und die Bedeutung seines Werks sein würde?

 

Geben wir es zu: Wir wissen es nicht. Doch wer Heines gesammelte Werke und Briefe einigermaßen kennt, möchte es erraten. Wahrscheinlich hätte er einen Vergleich zum Heiligen Rock von Trier gezogen und sich gefragt, ob ihm ein solcher Kult, immerhin war er Tuchhändlersohn, zur höchsten Ehre gereiche oder aber, ob er diesen Versuch, Menschen an sein Werk heranzuführen, als eine Kränkung seiner empfindsamen Seele empfunden hätte? Einiges spricht dafür, dass er den Zwiespalt poetisch überbrückt und von einer ihn mit Stolz erfüllenden Kränkung gesprochen hätte.

 

Heinrich Heine wusste wie kaum ein anderer deutschsprachiger Intellektueller seiner Zeit um die touristische und wirtschaftliche Bedeutung „heiliger Röcke“. Das kann man einem Briefzitat entnehmen, das der Theaterkritiker und Heine-Kenner Maximilian Harden 1891 in einem Artikel über den damals in Trier - wieder einmal - der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Heiligen Rock veröffentlichte. Denn Heine hatte einmal an seinen Freund, den knauserigen Verleger Campe geschrieben: „In meinen gesammelten Werken lasse ich Dir einen heiligen Rock, aber warte gefälligst mit dem Honorar nicht, bis ich ganz tot bin.“

Heine ahnte, dass Dichter wie er erst tot sein müssen, bevor sie, wenn schon nicht als Menschheitsretter so doch als gute und damit auch als gut bezahlte Dichter anerkannt werden. Im Wintermärchen spricht er zu Jesus: „Mit Wehmut erfüllt mich jedes Mal / Dein Anblick, mein armer Vetter / Der du die Welt erlösen gewollt/ Du Narr, du Menschheitsretter! - Sie haben dir übel mitgespielt / Die Herren vom hohen Rate / Wer hieß dich auch reden so rücksichtslos / Von der Kirche und vom Staate! - Zu deinem Malheur war die Buchdruckerei / Noch nicht in jenen Tagen / Erfunden; du hättest geschrieben ein Buch / Über die Himmelsfragen. - Der Zensor hätte gestrichen darin / Was etwa anzüglich auf Erden / Und liebend bewahrte dich die Zensur / Vor dem Gekreuzigtwerden.“

 

Wenn Heine seine gesammelten Werke einen „Heiligen Rock“ nennt, dann lohnt es sich, anlässlich der Ausstellung seines unheiligen Rocks im Offenbacher Klingspor Museum, diesem verwunderlichen Vergleich einmal auf den Grund zu gehen. Diesen Versuch unternimmt mit einem Vortrag Prof. Dr. Hans See, Politikwissenschaftler und Wirtschaftskriminologe, der auch ein volles Germanistikstudium absolvierte und – wie er meint - Heinrich Heine mehr literaturwissenschaftliche Kenntnisse und Erkenntnisse verdankt als seinen einstigen Professoren.

Seit 2008 ist im Offenbacher Klingspor Museum eine Heine-Jacke der besonderen Art zu besichtigen. Erläuterungen zum Ausstellungsstück gibt Museumsleiter Dr. Stefan Soltek. Erworben hat das Museum dieses Kunststück von der bekannten Malerin und Buchkünstlerin Burgi Kühnemann, nachdem der Ankauf mit Hilfe einer Spendensammlung unter Offenbacher Bürgern ermöglicht wurde.

 

Eine Veranstaltung zum Jubiläum: 10 Jahre Heinrich-Heine-Club

 

Zum Vortrag:

 

Heinrich Heines „Heiliger Rock“

 

Meine Damen und Herrn, zunächst eine Vorbemerkung.

Sie werden sich gewundert haben über den Ankündigungstitel meines Vortrags. So, wie ich mich gewundert habe über den Anlass zu dieser Veranstaltung, in der ein vom Klingspor-Museum Offenbach erworbenes Kunstwerk ganz besonderer Art, nämlich eine „Heine-Jacke“ der Künstlerin Burgi Kühnemann, vorgestellt werden solle. Ich war sofort bereit, diesen Vortrag zu halten. Aber er sollte nach meiner Auffassung einen inhaltlichen Bezug zu dieser Heine-Jacke haben. Das habe ich versucht und hoffe, das es mir gelingen wird, Ihnen mit meinen gewonnen Erkenntnissen einige neue Einblicke in Heines schon weitgehend ausgeleuchtetes Werk bieten zu können, Die hier präsentierte Heine-Jacke wird Ihnen nach meinem Vortrag vom Leiter dieses Museums, Dr. Stephan Soltek, vorgestellt.

 

Um einen Bezug zwischen meinem Vortrag und der „Heine-Jacke“ zu finden, ging ich auf Spurensuche: Zuerst in den Gesammelten Werken Heines selbst, dann in der literaturwissenschaftlichen Abteilung meiner Bibliothek, schließlich auch im allwissenden Internet. Das Ergebnis kennen sie. Die Ankündigung meines Vortrags steht unter der merkwürdigen, vielleicht irritierenden, Überschrift: „Heinrich Heines ‚Heiliger Rock’“. So etwas muss einem erst einmal einfallen. Von mir stammt dieser Einfall nicht. Ich will - um Ihre Neugierde zu befriedigen, wie diese Überschrift zustande kam – zuerst einmal über dieses Forschungs-abenteuer berichten. Wenn Sie mögen, können Sie diese Erklärung als Einleitung betrachten. Sie ist aber schon einer der vier Hauptteile meines Vortrags.

 

Anmerkungen zum Titel und Aufbau des Vortrags

Gegliedert habe ich den Vortrag, diesen einführenden Teil inbegriffen, in vier thematische Abschnitte. Außer diesem ersten, der den Blick auf das Gesamtwerk lenkt, befasst sich jeder Abschnitt mit einem Themenschwerpunkt aus den gesammelten Werken. Anhand der Themen soll verständlich gemacht werden, weshalb ich meine, Heine habe mit Fug und Recht seine gesammelten Werke als seinen „Heiligen Rock“ verstehen können.

 

Die Themenschwerpunkte, die ich für diesen Vortrag gewählt habe, lauten:

1. Rezeption, 2. Religion, 3. Nation und 4. Revolution. Meine Recherchen und Betrachtungen über die Heine-Rezeption in diesem ersten Teil sind sehr subjektiv, denn sie betreffen zum Teil meine eigene Beziehung zu Heines Werk. Ich habe - so gut es ging - zwischen meiner eigenen Wahrnehmung Heines und seiner Schriften und den Bewertungen anderer einen Trennstrich gezogen.

 

Auch die danach folgenden Abschnitte über Heines Verhältnis zur Religion, zur Nation und zur Revolution sind überwiegend aus meiner persönlichen Sicht gedeutet. Denn ich wollte keine literaturwissenschaftliche Vorlesung halten, obwohl das bloße Referieren wissenschaftlicher Forschungsergebnisse einfacher gewesen wäre. Dass ich - der ich üblicherweise nur frei spreche - meinen Vortrag vorlese, bitte ich zu entschuldigen. Es hat mit dem strengen Zeitplan dieses Abends zu tun. Denn wenn ich frei referiere, überziehe ich zu sehr und werde gestoppt, bevor ich alles, was ich sagen wollte, gesagt habe.

 

Die von mir genannten Themenfelder haben viele Untiefen und sind zugleich breit. Nach meiner Überzeugung sind es zentrale und integrale Bestandteile des Gesamtwerks Heines, das hier als sein „Heiliger Rock“ betrachtet wird. Da diese gesammelten Werke schon zu Heines Lebzeiten - und anhaltend bis heute - für heftige Emotionen und Kontroversen sorgten, haben sie zumindest dies mit dem Heiligen Rock von Trier gemeinsam.

 

1. Was heißt: Heines Heiliger Rock?

Ich werfe nun einen - zugegeben etwas zu einseitigen - Blick auf die Heine-Rezeption. Der Grund ist schnell verdeutlicht. Nachdem ich von Herrn Diehl, dem Vorsitzenden des Offenbacher Heine Clubs, den Anlass erfahren hatte, der mir zu der Ehre verhalf, vor Ihnen über Heine und sein Werk sprechen zu dürfen, wollte ich wissen, ob - und wenn ja - welche Rolle in Heines Leben und Schriften das Kleidungsstück, das wir „Jacke“ oder „Jackett“ nennen, spielte. Ich konnte mich nicht erinnern, dass der aus einer Tuchhändlerfamilie stammende Poet, dieser gescheiterte Kaufmann, dichtende Jurist, begnadete Essayist und Journalist - was ja nicht auszuschließen war - den Jacken in seinen Dichtungen und Berichten jemals irgendeine besondere Rolle oder Funktion zugewiesen hätte.

 

Ich erinnerte mich jedoch, und fand die Stelle auch sofort wieder, dass Heine in seinen „Memoiren“ die Metrik des Systems der französischen Poesie, vor allem den Alexandriner, als „Zwangsjacke“ verflucht hatte, deren es - wie er spöttisch anmerkte - bei der Zahmheit der Gedanken der französischen Dichter gar nicht bedurft hätte. In der Schule hatte man ihn gezwungen, Auszüge aus der „Messiade“ Klopstocks ins Französische zu übersetzen, das hieß, sie zugleich ins Versmaß des Alexandriners umzudichten. Nachdem er das erzählt hat, gesteht er freimütig, er sei damals nahe daran gewesen, ein „Franzosenfresser“ (1) zu werden. In diesem Zusammenhang hinterließ Heine uns Nachgeborenen ein Zitat, mit dem er seinen Freunden wie Feinden ein wunderbares Selbstportrait und ein starkes Motiv lieferte, sich bis heute mit diesem Werk zu befassen. Es soll Ihnen - so nah an den öffentlichen Feiern des 50ten Jahrestags des Élysée-Vertrags - nicht vorenthalten werden. Denn es war eine der großen Visionen Heines, dass Deutschland und Frankreich einst in Frieden miteinander leben würden. Er schrieb in seinen Memoiren: „Ich hätte für Frankreich sterben können, aber französische Verse machen - nimmermehr.“(2)

 

Zurück zur Jacke. Jacken kommen - so das Ergebnis meiner Recherche - in Heines Texten zwar immer wieder einmal vor, spielen aber, wie überhaupt Kleidungsstücke, in seinem Leben und Werk zu keiner Zeit eine tragende Rolle. In seiner wunderbaren Studie „Die romantische Schule“, in der er 1836 den Franzosen die deutsche Literatur vor und neben Heine erklärt, gibt er dort, wo er sich mit der Literaturgattung des späten Ritterromans befasst, der zu seiner Zeit noch ein breites Publikum fand, einen unübersehbaren Hinweis auf die Gründe seines Desinteresses an Äußerlichkeiten wie Kleidungsstücken. Er klagt dort darüber, dass in diesen Romanen - statt der „inneren Natur“ des Menschen und der Dinge - nur ihre äußere Erscheinung und das Kostüm geschildert werden. Er nennt das „bunte Oberflächlichkeit“. Und er bringt seine Kritik auf den Punkt mit dem Satz: „Statt Menschenkenntnis bekunden unsere neueren Romanciers bloß Kleiderkenntnis“.(3) Als Beispiele nennt er Walter Scott und Friedrich de la Motte Fouqué. Dass Kleider Leute machen, davon war der Tuchhändlersohn offensichtlich nicht zu überzeugen.

 

Heine lobt indes vorbehaltlos die älteren Romanciers, die uns die „Anatomie der Empfindungen“, die uns Einblicke in die „verborgensten Tiefen der Seele“ und in ihre „Abgründe, Paradiese und Schmutzwinkel“ geben.(4) Es ging ihm - so leichtfüßig seine Sprache daherkommt - immer um das Wesentliche. Welche Jacken und Hosen jemand trug, gehörte aus seiner Sicht zum Reich der Erscheinungen und des Zufälligen, das heißt zum Unwesentlichen. Er wusste, dass alles - außer dem Wesentlichen - wechselnden Moden unterworfen ist, also keinen bleibenden Wert haben konnte. Dies ist der Grund, weshalb wir nach so langer Zeit noch immer Heine mit Freude, Genuss und dem Gefühl lesen können, ein Update unseres nachhinkenden Geisteszustandes und unserer veralteten Gemütsverfassung herunterzuladen.

 

Trotz seiner Vorliebe für das Wesentliche (es ist sinnvoll, im Zusammenhang mit Heines Philosophie das Wort "letzte Wahrheiten" zu vermeiden) verstand sich Heine - wie alle Schriftsteller, die dem Jungen Deutschland zugerechnet wurden - als Vertreter der „Moderne“. Man muss wahrscheinlich das von Paolo Chiarini und Walter Hinderer herausgegebene Buch „Schwelle und Übergang: Heinrich Heines Position in der modernen europäischen Literatur“ (5) gelesen haben, um das einigermaßen zu verstehen. Dort zeigen verschiedene Autoren, dass Heines Begriff der Moderne sowohl poetologisch wie politisch nicht nur über Klassik und Romantik, sondern auch über den des übrigen Jungen Deutschland weit hinausging.(6) So übernahm Heine „sowohl in der Lyrik als auch in der Prosa vorgegebene Schreibtechniken der Romantik, die er aber verändert und auf politische, soziale, ökonomische und historische Prozesse überträgt oder genauer: zu deren Veranschaulichung und Erkenntnis einsetzt“. (7)

 

Ich kann aus Zeitmangel diesen Aspekt des Themas hier nicht vertiefen und beschränke mich deshalb auf die Feststellung, dass Heine es nicht modern fand, sich launischen Moden zu unterwerfen. Modern und modisch sind nach seinem Verständnis eher Gegensätze. Zur „Moderne“ gehört für Heine alles, was der Überwindung des Mittelalters dient. Eine geniale Definition, mit der sich bis heute viele politische Konflikte - auch in und zwischen anderen Kulturen - rational erklären und viele umstrittene Geistesgrößen (zum Beispiel Luther, auf den ich noch zu sprechen komme) sinnvoll in die Entwicklungsgeschichte der bürgerlichen Aufklärung wie in die marxistische Geschichtsphilosophie eingliedern lassen.

 

Stärkste und jüngste äußere Zeichen, dass das Mittelalter zuende ging, waren für Heine die Julirevolution des Jahres 1830 und Goethes Tod 1832, mit dem, wie er sagte, eine „Kunstperiode“ (8) abgeschlossen war. Genau zwischen diese historische Daten fällt Heines Entscheidung, der deutschen Reaktion nach Frankreich auszuweichen. Dass er dort nie ausgewiesen wurde, wie später Karl Marx und viele andere, lag vieleicht daran, dass Heine informell ein Franzose war. Denn als er 1797 in Düsseldorf zu Welt kam, gehörte Düsseldorf zu Frankreich. (9) Allerdings schildert er in „Lutetia“ sehr ausführlich, warum er sich - der Kosmopolit - nie formell in Frankreich hatte „naturalisieren“ lassen. Aus Liebe zu seinem deutschen Vaterland. (10)

 

Nun hätte ich mich mit dem Resultat, dass Heine Bekleidungsstücken keine besondere Bedeutung beizumessen pflegte, begnügen können. Doch da wir Deutschen zu Jacken auch manchmal Rock sagen, ging ich dieser Spur nach. Sie glauben gar nicht, was man bei einer solchen Recherche alles über Jacken und Röcke lernen kann. Da fällt genug Stoff für einen gesonderten Vortrag an. Mit Blick auf die Fragestellung war die Ausbeute meiner Bemühungen gering. Jedoch fand ich eine „Heinrich Heine GmbH“ mit Sitz in Karlsruhe, die zum Otto-Versand gehört und Röcke und Jacken der neuesten Moden für beide Geschlechter über Internet anbietet. (Für diese unfreiwillige Schleichwerbung nehme ich selbstverständlich keinen Cent!)

 

Da ich die Flinte nicht gleich ins Korn zu werfen pflege, forschte ich weiter. Es musste eine literarische Brücke zur Heine-Jacke geben. Und tatsächlich, zu Burgi Kühnemanns „Heine-Jacke“, diesem Kunstwerk, das – soweit ich das nach sehr flüchtiger Betrachtung beurteilen kann - den Gegensatz zwischen Äußerem und Innerem genial aufhebt, indem es auf dieser Jacke für Heines geistige „Produkte“ in einer Form wirbt, wie heute von der Marketing-Branche auf Trikots und anderen Kleidungsstücken für Firmen oder Marken geworben wird.

 

Doch über das künstlerische Raffinement, das in dem uns hier und heute zusammenführenden Werk sichtbar wird, werden wir ja im Anschluss an meinen Vortrag noch von Herrn Soltek Näheres erfahren.

 

Ich will nun einiges über diese wunderbare Brücke berichten, die ich nach langem Suchen endlich fand. Ich fügte nämlich dem in meine Suchmaschine eingegebenen Stichwort „Heinrich Heine“ nun nicht mehr das Wort „Jacke“, sondern das Wort „Rock“ hinzu. Zwar stieß ich dabei wiederum nur auf die Röcke vom Heine-Versand, aber der gedankliche Ansatz war richtig. Ich musste nur verschiedene Bezeichnungen, die es für Röcke gibt, hinzufügen, und es ergaben sich die schönsten Ergebnisse.

 

Eine Überlegung war, dass Heine vielleicht zu besonderen Anlässen einen „Gehrock“ getragen haben könnte und ihm dies irgendwelche Bemerkungen wert war? Vielleicht hatte er sich auch mal über „Waffenröcke“ einschlägig geäußert.

 

Warum nicht, wo er sich doch im Wintermärchen so herzerfrischend über die preußischen Pickelhauben, die er in Aachen sah, lustig gemacht hatte? Im Leben und Werk des Waffenröcke tragenden „Alten Fritz“ waren es bekanntlich „drei Unterröcke“, die dessen Ruhm begründeten. Friedrich II. hatte, um dies hier einzuschieben, im 7jährigen Krieg, der von 1756 bis 1763 wütete und den einige Historiker als ersten Weltkrieg der Geschichte bezeichnen, Maria Theresia; also das Habsburger Reich, Katharina die Große (das heißt Russland) und Madam de Pompadour (den „Erbfeind“ Frankreich) besiegt, dessen Sprache er besser gekonnt haben soll als die deutsche. Wir wissen, dass ihn mit Frankreichs berühmtesten Aufklärer, Voltaire, eine enge Freundschaft verband. Mit Friedrichs Siegen über die despektierlich als „Unterröcke“ charakterisierten Herrscherinnen der damaligen Großmächte hatte sich der Preußenkönig den Namen „der Große“ erworben, hatte seinen Ruhm als Feldherr und den Ruhm Preußens als einer neuen - zumindest militärischen - Weltmacht in den Geschichtsbüchern verankert.

 

Die Frage war also nicht abwegig, ob ich etwas Vergleichbares über Heines Röcke oder Gehröcke finden würde? Aber da war nichts. Dann kam mir der Zufall zu Hilfe. Denn 2012 war ja - wieder einmal - ein Wallfahrtsjahr zum "Heiligen Rock" nach Trier. Das brachte mich auf den verrückten Gedanken, es einmal mit dem Begriff „Heiliger Rock“ zu versuchen. Heine und Heiliger Rock. So unglaublich das klingt: Das war die richtige Kombination. Heine hatte sich offensichtlich nirgends über den Heiligen Rock in Trier, aber - wie die Kenner des Wintermärchens wissen - über die Reliquien der Heiligen Drei Könige im Kölner Dom geäußert. Ich fand heraus, dass dieses Tuch, das Jesus angeblich bei seiner Kreuzigung trug, zu Heines Lebzeiten zweimal, nämlich 1810 und 1844, gezeigt worden war.

 

Einen Heine-Text zum "Heiligen Rock" gibt es offensichtlich nicht. Allerdings fand ich einen - im Stil Heines geschriebenen - Artikel des legendären Literaturkritikers Maximilian Harden, der von 1861 bis 1927 lebte und so etwas wie der Reich-Ranitzky seiner Zeit gewesen war. Hardens Artikel war überschrieben: „Der Heilige Rock“. (11) Erscheinungsjahr 1891, das Jahr, in dem nach 12 Jahren politischer Verfolgung der Arbeiterbewegung Bismarcks Sozialistengesetz gekippt wurde und in Frankfurt am Main eine Ausstellung zur zweiten industriellen, nämlich der elektrischen, Revolution die Gemüter der fortschrittsbesessenen Massen bewegte. Gründe genug für den neuen Bischof von Trier, Michael Felix Korum, in eben diesem Jahr dem zum Sozialismus neigenden Volk nach langer Zeit wieder einmal den berühmten "Heiligen Rock" zugänglich zu machen. Sozusagen als Gegengift.

 

Tatsächlich: Wie immer setzte diese Entscheidung - trotz heftiger Angriffe von verschiedenen Seiten - große Pilgerströme Richtung Trier in Bewegung. Und ebenfalls wie immer blühte das Tourismus- und Devotionaliengeschäft. Hardens Artikel zu diesem Ereignis war in der Zeitschrift „Die Gegenwart“ erschienen. (12) Die „Gegenwart“, für die Harden damals schrieb, war eine deutsche Zeitschrift, die zwischen 1872 und 1931 in Berlin erschien. Eine „Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben“, wie sie sich nannte.

 

Der dem dichtenden Journalisten und journalistischen Dichter Heine in vielerlei Hinsicht geistesverwandte und ebenfalls sehr belesene - wenn auch bis Ende des Ersten Weltkriegs eher sozialliberale - Harden, bei dem sich erstaunlich viele biographische Parallelen zu Heines Leben finden, holte in seinem Artikel über den „Heiligen Rock“ sehr weit aus.

 

Er stellte bewusst eine Beziehung zur gleichzeitig in Frankfurt am Main stattfindenden „Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung“ über die neuesten Erfindungen der Energieversorgung her, die - in Konkurrenz zum Heiligen Rock - mindesten 1,2 Millionen Besucher anzog, weil in Frankfurt die Einführung des Stromtransports über weite Strecken und dem Durchbruch der Glühbirne als eine Art Revolution empfunden wurde und großes öffentliches Interesse fand.(13)

 

Harden ging es, indem er diese Vergleiche zog, offensichtlich darum, auf die immer tiefer und breiter werdende Kluft zwischen metaphysischen Heilserwartungen und rationalistischem Fortschrittsglauben in der Gesellschaft, aber auch auf die Wertsteigerung der Hinterlassenschaft eines Menschen durch sein von unbarmherzigen Obrigkeiten verursachtes Martyrium hinzuweisen. Wen wundert es, dass Harden, der Heine- Kenner, sich an 1844 erinnerte, als der Heilige Rock rund eine Halbe Million Menschen Richtung Trier in Bewegung zu setzen vermochte.

 

Es war das Jahr, in dem Heines „Deutschland - Ein Wintermärchen“ geschrieben wurde und erschien.

Heute erinnern Historiker daran, dass die Wallfahrt nach Trier im Jahr 1844 die größte Massendemonstration des deutschen Vormärz gewesen war. Doch dieses große Ereignis kommt im Wintermärchen nicht vor. Weshalb? Das hat damit zu tun, dass es Heines poetischer Reisebericht seines ersten Besuchs Deutschlands im Jahr 1843 ist. Er hat dieses Versepos im Januar 1844 verfasst, und er besuchte anschließend noch einmal Deutschland. Aber nicht, um den "Heiligen Rock" in Trier zu sehen, sondern in Hamburg den Druck seiner Neuen Gedichte, denen er damals dieses Wintermärchen beifügte, zu überwachen.

 

Was folgert Harden aus dem riesigen Pilgerstrom nach Trier? Und warum schlägt er eine Brücke zu Heine, der sich doch dazu nirgends geäußert hat? Harden wörtlich: „Bischof Korum siegt über Edison, der Internationalismus der Naturwissenschaft wird geschlagen durch den internationalen Katholizismus. Und das geschieht im aufgeklärten Staate der Lessing und Friedrich und Nicolai, an der Neige des wissenschaftlichen Jahrhunderts. Mag die hochmütige Modernität sich damit abfinden.“ (15)

 

Harden sagt „Modernität“, nicht „Moderne“. Und er meint damit sicher nicht nur Ingenieurwissenschaften und Industrielle, sondern auch die Erben der „Moderne“, die dem Jungen Deutschland verpflichteten Schriftsteller und Journalisten, die sich längst einer Moderne hingegeben hatten, die mit Heines eher literarischen Begriff nur noch wenig zu tun hatte, weniger jedenfalls als diejenigen, die im revolutionären Vormärz als das „Junge Deutschland“ bezeichnet wurden. Dessen Schriften waren 1835 vom Deutschen Bundestag (der bekanntlich in der Frankfurter Paulskirche zusammenkam) mit der Begründung verboten worden, die Jungdeutschen versuchten „in belletristischen, für alle Klassen von Lesern zugänglichen Schriften die christliche Religion auf die frechste Weise anzugreifen, die bestehenden socialen Verhältnisse herabzuwürdigen und alle Zucht und Sittlichkeit zu zerstören“. (16)

 

Inzwischen waren jedoch über 50 Jahre vergangen. Die bürgerliche Revolution von 1848 war gescheitert, Preußen hatte unter Bismarcks Politik des „Blut und Eisen“ mit einer Serie innerdeutscher Kriege und einem Krieg gegen Frankreich einen Kleindeutschen Nationalstaat (das heißt ein Deutschland ohne Österreich) geschaffen, der ohne Rücksicht auf die sozialen Folgen die Industrialisierung vorantrieb, der die ambivalenten Freiheitswünsche des Bürgertums mit der Kombination wissenschaftlich-technischer Fortschritts- und reaktionär-romantischer Obrigkeitsgläubigkeit zu befriedigen, aber - trotz polizeistaatlicher Unterdrückung des seine wirtschaftliche, soziale und politische Emanzipation vorantreibenden Industrieproletariats - dessen Machtzuwachs nicht zu verhindern und dessen revolutionäre Visionen nicht mittels Rückkehrversprechen ins Mittelalter zu ersetzen vermochte.

 

„Modernität“, das war für Harden die hochmütig gewordene Form jener Moderne, der sich Heine zugerechnet hatte und von der Harden annahm, das Heine dazu nicht nur die Kapitalisten, sondern auch das zur Weltveränderung entschlossene revolutionäre Proletariat gehöre.

 

Mit der Aufhebung des Sozialistengesetzes durch Kaiser Wilhelm II., der - anknüpfend an Bismarcks antidemokratisch motivierte Sozialstaatspolitik - nun mehr auf ideologische Umarmung („Sozialpartner-schaft“ und Ethnisierung sozialer Konflikte) als auf offene Repression setzte, hatten die Modernen, die mit Texten von Heine und Argumenten von Marx und Engels der Arbeiterbewegung den Rücken stärkten, eindrucksvolle Erfolge über das vor allem von der Katholischen Kirche und den ostelbischen „Krautjunkern“ (Grundbesitzern) verteidigte und repräsentierte Mittelalter errungen, aber Harden wollte in Heine damals noch nicht den Sozialisten sehen, wollte ihn erkennbar vor der aus seiner Sicht vermeintlichen Vereinnahmung seitens der damals noch überwigend revolutinär gesonnenen Sozialdemokratie in Schutz nehmen.

 

Literatur- und Kulturkritiker Harden sympathisierte 1891 noch mit dem sozialliberalen Bürgertum, das seinen Zenit jedoch schon mit dem Scheitern der Revolution von 1848 überschritten hatte. Harden entdeckte seine Sympathien für den Sozialismus bzw. den Kommunismus erst nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg. Mit seiner Kritik an der Kirche und an der Macht der Kirche im angeblich säkularen Zweiten Reich, festgemacht am "Heiligen Rock" und dem tausendneunhundertjährigen Geschäft der katholischen Kirche mit dem Glauben, hatte er zwar die Brücke zu Heine geschlagen, aber (noch) nicht zu dessen „Sozialismus“ bzw. dessen urchristlichen Liebeskommunismus.

 

Er nutzte vielmehr die Gelegenheit einer Schleichwerbung für Heines „Sämtliche Werke“, die Ernst Elster zwischen 1887 und 1890 in Leipzig und Wien herausgegeben hatte. Er hätte die Gelegenheit auch nutzen können, für die Arbeiterbewegung zu werben, anknüpfend an Heines 1844 über den Aufstand der schlesischen Weber und 1854/55 verfasstes Gedicht „Das Sklavenschiff“ über den kapitalistischen Menschenhandel. Aber der Heine, für soweit wie einige der intellektuellen Köpfe der damals siegreichen Arbeiterbewegung, ging Harden nicht. (17) Er blieb der bürgerliche Kapitalismuskritiker, der sich über Kulturerrungenschaften von rund zweitausend Jahren Christentum wie die „Deutsche Antisklaverei-Geldlotterie“ der Pharisäer und Bankiers lustig machte. (18)

 

Als Harden seinem Heine, der - wie gesagt - im „Wallfahrtsjahr“ 1844 Deutschland besucht hatte, kongenial die Worte in den Mund legte, die der Dichter seinem Verlegerfreund Campe damals tatsächlich geschrieben oder gesagt haben könnte, ging es ihm um den Zusammenhang von Glaube und Kommerz, weil der Glaube, egal, woran er sich entzündet, nicht nur Schmerzen lindert, sondern seinen Reliquien nach den Gesetzen des Marktes, also durch die enorme Nachfrage, auch zu einer Wertsteigerung verhilft. Deshalb lässt Harden Heine seinem Verleger mitteilen: „In meinen gesammelten Werken lasse ich Dir einen heiligen Rock, aber warte gefälligst mit dem Honorar nicht, bis ich ganz tot bin.“ (19)

 

Dass Maximilian Harden Heines Gesamtwerk als „Heiligen Rock“ bezeichnete, ist erstaunlicherweise bisher noch nicht von der Heine-Forschung aufgegriffen und einzuordnen versucht worden. Deshalb dieser durch die „Heine- Jacke“ Burgi Kühnemanns angeregter Versuch, diese doch sehr merkwürdige Äußerung zu erklären. Das Pseudo- Zitat deute ich als eines der vielen Zeichen für den starken Einfluss Heines auf kritische Intellektuelle der Zeit zwischen Reichsgründung und Erstem Weltkrieg. Ich habe es eigentlich nur zufällig gefunden, weil ich einen treffenden Bezug zu dem Kunstwerk „Heine-Jacke“ suchte. Da jedoch der berühmte Harden Heine diesen kongenialen Satz in den Mund legt, ihn sogar mit Anführungszeichen versieht, verführt er nicht nur dazu zu glauben, es sei ein echtes Heine-Zitat, er gibt diesem Zitat auch ein Gewicht, das es rechtfertigt, seine wahrscheinlich vorhandene tiefere Bedeutung aufzuspüren. Da Heine-Experten, von denen es viele hervorragende gibt, dies - soweit ich es überprüfen konnte - bisher nicht getan haben, werden sie es aufgrund meiner Anregungen vielleicht nachholen und meine hier vertretenen Thesen überprüfen und gegebenenfalls auch korrigieren. Heute nutze ich die Gelegenheit, auf die Existenz dieser merkwürdigen Charakterisierung des Gesamtwerks von Heine hinzuweisen. Und ich bin schon dabei, einen ersten Versuch zu unternehmen, die mit dem Begriff Heiliger Rock dem Werk zunächst hypothetisch unterstellte tiefere Bedeutung zu ergründen.

 

Die Frage drängte sich mir auf, ob Heines Werk für ihn selbst und seine Leserinnen und Leser das sein könnte, was für die Katholiken, die nach Trier Pilgern, der "Heilige Rock" ist? Ich weiß nicht, wie Heines Lyrik und Prosa auf Andere Einfluss genommen hat. Ich selbst habe mich schon als „lesender Arbeiter“ (20) für Heine interessiert und sein Einfluss auf mich war sehr groß. Warum? Wahrscheinlich, weil ich in meiner Kindheit - wie die meisten Deutschen - in die zauberhafte Loreley verliebt war. Ich konnte mit dem Lied das Bild dieses mächtigen Felsens verbinden, weil meine Familie eine - allerdings unvollständige - Fotosammlung besaß, die die „Peter Cremer Standard-, Seifen- und Glyzerin-Werke“ (übrigens damals mit Sitz in der Heine-Stadt Düsseldorf) für eines der Sammelalben anbot und auf dem auch der Felsen, allerdings unter dem Namen „Lurlei“, abgebildet war. (21) Die Loreley war für mich nicht nur ein bezauberndes Lied, es prägte auch das weit verbreitete Frauenbild meiner Jugendzeit: Auf seine einfachste Formel gebracht, hieß es: „Blonde Gefahr“.

 

Dass der der Text von Heine stammte, erfuhr ich erst nach Kriegsende. Mir fiel in all den Jahren niemals ein, diesen Anhänger des Saint-Simonismus als Gegner der Frauenemazipation zu sehen. (22) Als ich den Namen Heine als Urheber dieses Textes erstmals hörte, war ich allerdings noch ein leidenschaftlicher Karl Mai-Leser und die Frauenfrage stellte sich mir nicht, weil damals die „Trümmerfrauen“ eine Schlüsselrolle beim Wiederaufbau unserer zerstörten Städte und – wie meine Mutter - bei der Versorgung ihrer vaterlos gewordenen Familien spielten. Nachdem ich - auf Heine aufmerksam geworden - das "Wintermärchen" gelesen hatte, verschlang ich alles, was mir von und über den Dichter der Loreley in die Finger fiel. Heine verdanke ich mit Sicherheit mein frühes Interesse an Dichtung, Philosophie, Geschichte und Politik, vielleicht auch - was ich nicht so bestimmt sagen kann - mein erst später erwachtes Interesse an politischer und krimineller Ökonomie. Denn auf nichts - auch nicht auf dieses heikle Thema unserer Gegenwart - schien mir Heine eine einleuchtende Stellungnahme, meist eine vom Mainstream abweichende, schuldig zu bleiben.

 

Die große politische Verserzählung „Deutschland - Ein Wintermärchen“ war mein erstes nachhaltiges Bildungserlebnis, weil dieses volkstümliche und doch von Wissen und Weisheiten voll gepackte Werk mir, als ich über die deutsche Geschichte nur wusste, was mir unsere Lehrer in der Nazi-Volksschule eingetrichtert hatten, viele Fragen zufrieden stellend, weil erhellend, aufklärend, beantwortete. Und weil ich, was Gott und die Welt betraf, bis dahin völlig ahnungs- und sprachlos war. Mit der Nazi-Ideologie konnte ich schon vor 1945 kaum, danach - mit erwachendem Bewusstsein - gar nichts mehr anfangen. Es war das Wintermärchen, das mir in meiner Jugend bei der Suche nach Antworten für das Leben hinreichend Kriterien lieferte, um mir eine eigene Sprache und mit ihr auch eine eigene Meinung zu bilden. Ja es regte mich dazu an, meinen - vor allem im Krieg und in der unmittelbaren Nachkriegszeit gemachten - Erfahrungen mit ersten Gedichten und Geschichten aufzuarbeiten. Heute würde man sagen: Heine war mein erster und mein letzter Therapeut.

 

Im postfaschistischen Deutschland war jeder Vers, jeder Gedanke aus Heines Werk für alle, die unter der Naziherrschaft gelitten hatten, eine innere Befreiung, eine psychische Erlösung, eine intellektuelle Offenbarung. Man kann sagen: Heine war für viele so etwas wie eine Heilserfahrung. Aber "Heiliger Rock"? Auf diesen Gedanken wäre ich nie gekommen. Ich war - wie Heine - Protestant. Heine zu lesen, half mir, die in Schule, Kindergottesdienst und Elternhaus in mich hinein geprügelten Tabus und Denkverbote zu brechen, mich den scheinheiligen Wasserpredigern, die heimlich Wein trinken, offen zu widersetzen. Als in Zeiten großer Not - damals habe ich erfahren müssen, welche Schmerzen richtiger Hunger verursacht - Diebe unserem Dorfpfarrer sämtliche Hühner stahlen und ihm ein Schild an die Tür hängten, auf dem geschrieben stand: „Gottes Diener brauchen keine Hühner“, war ich sicher, dieser Spott könne nur von Heine stammen. Ich habe in seinen Schriften immer wieder nach diesem Spruch gesucht, ihn aber bis heute nicht gefunden. Vielleicht hatten die Hühnerdiebe ja auch Heine nur gelesen und sich von dessen als zersetzend diffamierten Geist inspirieren lassen.

 

Dass Maximilian Harden Heines Gesamtwerk als "Heiligen Rock" bezeichnete, was ich, wie gesagt, erst in Vorbereitung auf diesen Vortrag herausfand, leuchtete mir - so fern mir der Gedanke lag - auf Anhieb ein. Für diejenigen, denen das nicht unmittelbar einleuchtet, will ich noch einmal ein paar knackige Sätze aus dem Artikel von Harden über den Heiligen Rock von Trier zusammenstellen.(23) Denn wer Heine gut kennt, wird viel Heine heraushören. Harden sagt: „Wenn ich die Wahl hätte, ich ginge auch nach Trier...“ „Nicht verspotten, beneiden, sollte man die nach Trier Wallfahrenden...“ „Gerade diese Entschlossenheit, alles, auch das Unglaublichste, gläubig hinzunehmen, gibt dem Katholizismus heute noch seine Weltmacht und erklärt den Trierer Erfolg.“ „Selbst der Geschäftskatholizismus, der da in Gesuchen um Schankkonzessionen, in Reklamebildern und Messlustbarkeiten zum Vorschein kommt, ist in seinen Wirkungen auf den Geldumlauf gar nicht so fürchterlich...“ Jetzt folgt ein Satz, der am deutlichsten verrät, was Harden meint, wenn er von Heines "Heiligen Rock" spricht: „Und wenn wir einmal ganz aufrichtig sein wollen: Glauben wir etwa nicht an heilige Röcke, wir Nationalisten und Protestanten und Atheisten? ...“... „Die Frommen von Trier haben mindestens den Mut ihres Aberglaubens: Christi reine Lehre bekümmert sie nicht, von seinem verschlissenen Gewand aber erhoffen sie Heilung, gute Geschäfte und billige Kartoffelpreise.“ „Die Krämer und Geldwechsler haben längst wieder ihren Einzug in die Tempel gehalten, Pharisäer und Schriftgelehrte geben den Ton an, aber wir haben den Zwischenhandel erfunden und die Anteilscheine, bis zum Vierundsechzigstel hinab, wir haben die Kollekteure, den Totalisator, das Inserat. Lauter vortreffliche und höchst moderne Dinge...“(24)

 

Fünfunddreißig Jahre nach Heines Tod schrieb Maximilian Harden so, dass man sagen kann: Heine hat inzwischen Schule gemacht. Er war und ist bis heute geist- und stilbildend. Nachdem Harden noch einmal daran erinnert, dass der Trierer Bischof nun die Honneurs für den „Vetter“ Heinrich Heines, „den Narr“, den „Menschenretter“, also Jesus, mache, schreibt er, ich zitiere noch einmal, nun aber den ganzen Abschnitt, den Harden in seinem Artikel über den Heiligen Rock schrieb: „Noch einmal dürfte, wenn er die elektrische Zeit erlebt hätte, Heinrich Heine seinen armen Vetter beklagen, den man ans Kreuz schlug und von dessen Hinterlassenschaft jetzt eine stattliche Klerisei es sich wohl sein lässt. Einen melancholisch bitteren Brief dürfte er schreiben und zum knausernden Freund Campe sprechen: ‚In meinen gesammelten Werken lasse ich Dir einen heiligen Rock, aber warte gefälligst mit dem Honorar nicht, bis ich ganz tot bin.’“. (25)

 

Harden setzt sogar noch einen drauf, indem er über Heines mögliche Verhalten im Jahre 1891 weiterphantasiert: „Und vielleicht, himmlisch charakterlos, wie er war, brächte er es fertig, aus der Matratzengruft sich bis nach Trier zu schleppen und um ein Kevlaar-Wunder zu beten mit den Einfältigen, die der Glaube so selig macht, wie es kein Akkumulator und kein Kinematograph vermag.“ (26) Zum letzten Gedanken Hardens muss gesagt werden, dass Heine ein ergreifendes Gedicht, nämlich die „Wallfahrt nach Kevelaer“(27) schrieb, auf das Harden anspielt. In diesem Gedicht setzt eine Mutter ihre ganze Hoffnung auf Heilung ihres kranken Jungen durch die Wallfahrt nach Kevelaer. Sie trifft alle notwendigen Vorbereitungen. Doch der Junge ist am nächsten Morgen tot. Das Gedicht schließt mit den Versen: „Die Mutter faltet die Hände, / Ihr war, sie wußte nicht wie; /Andächtig sang sie leise:/ Gelobt seist du, Marie!“

 

Ich hätte nun große Freude daran, Ihnen den enormen Einfluss Heines auf Künstler, auch auf Komponisten, sogar auf die Operette als journalistische Kunstform, auf Journalisten, Essayisten, Wissenschaftler und Politiker bis in unsere Gegenwart im einzelnen nachzuweisen, aber das lässt die Zeit nicht zu und würde auch zu weit von Thema wegführen.(28) Ich komme deshalb auf die ausgewählten Themenschwerpunkte, um Ihnen die Berechtigung der Charakterisierung der gesammelten Werke durch Maximilian Harden als Heines „Heiligen Rock“ noch plausibler zu beweisen als in diesem ersten Teil.

 

2. Heine und die Religion

Was liegt in diesem Zusammenhang näher, als zunächst einmal Heines Verhältnis zum Glauben, zur Religion, zu den Kirchen zu beleuchten. Wir wissen, dass die Zeit der Aufklärung, die für Heine schon mit Luther beginnt, gekennzeichnet ist durch philosophische Religionskritik. Für diese steht auch Heine. Und dies ungeachtet der Tatsache, dass er in die Zeit der Gegenaufklärung hineingeboren wurde, worauf ja auch der metaphorische Untertitel seines Deutschlandepos, „Ein Wintermärchen“, verweist.

 

Das erklärt, dass er die Gegenaufklärung (bei ihm etwas zu pauschal unter dem Stichwort „Romantik“ abgehandelt) eine zeitlang mit einem militanten Atheismus bekämpfte, und dass er nie seine kritische Distanz gegenüber bestimmten religiösen Erscheinungsformen verlor. Es erklärt aber möglicherweise auch seine Behauptung, dass er in seinen von der Mutter vermittelten judäisch-christlichen Deismus (der Vernunftsreligion der Aufklärer) das letzte Unterpfand seiner Identität sah und es nie völlig aufzugeben bereit war.(29)

 

Diskussionen über das Dasein Gottes, schreibt er, machten ihm Angst, nicht das Nachdenken über Gott. Das „Nachdenken über die Natur Gottes“ empfand er sogar als „wahrhaften Gottesdienst“. In seiner „Geschichte der Religion und der Philosophie in Deutschland“ behauptet er, die „ursprüngliche Religiosität seiner Kindheit“ habe ihn „nie verlassen“. (30) Das schloß - wie seine Schriften hinreichend belegen – fundamentale Glaubenskritik nicht aus. Insoweit war und blieb Heine ein Kantianer. Aber Kant’s Rigorismus ging ihm – und nach seiner Ansicht sogar Kant selbst - dann doch zu weit. Heine nennt Kants Rigorismus schlichtweg „Terrorismus“. Und er wagt sogar einem Vergleich zwischen Kant und Robespierre. Aus seiner Sicht war letzterer der kleinere Terrorist, weil er nur den König von Frankreich, Kant aber - mit seinem unwiderleglichen Nachweis der Grenzen des deistischen Vernunftglaubens - Gott enthauptet hatte.

 

Die Aufklärer hatten mit ihrem Deismus den im Mittelalter vorherrschenden Offenbarungsglauben Lügen gestraft und abgelöst. Am Ende war es der deistische Aufklärer Kant selbst, der den drei vernunftgeleiteten Gottesbeweisen des Deismus, dem ontologischen, dem kosmologischen und dem physiko-theologischen, jeglichen Boden entzog. Damit, so Heine, war „das transzendentale Idealwesen, welches wir bisher Gott genannt, nichts anderes als eine Erdichtung.“ Kant habe aber, so Heine weiter, anschließend mit der Kritik der praktischen Vernunft die fürchterlichsten Konsequenzen seiner Kritik abgeschwächt.

 

Heine fragt augenzwinkernd: Aus Mitleid mit dem armen Volk? Oder aus Angst vor der Polizei? Man denke an die mit ihrer Religionskritik an Kant anknüpfenden, aber den politischen Atheismus vorantreibenden, also über Heine hinausgehenden Aufklärer Ludwig Feuerbach, Bruno Bauer und Arnold Ruge sowie an Heines noch „verstockteren Freund“ (31) Karl Marx. Lange vor dieser jüngeren Generation hatte der Hegelschüler Heine die gesellschaftspolitische Schlüsselrolle der Religion erkannt, die Marx im Rahmen seiner - auch von Gesprächen mit Heine selbst - angeregten Hegelkritik in die Worte fasste: „Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.“(32)

 

In dieser Äußerung glaube ich auch Heines Grundverständnis von Religion herauszuhören. Daher ist es so etwas wie ein Sündenfall gegenüber Heine und seinem Werk, wenn ich seine Religionskritik hier aus systematischen Gründen von seiner Nationen- und von seiner Revolutionskritik trenne. Denn Heine tut das nicht. Wie der „Heilige Rock“ in Trier ist sein Gesamtwerk eigentlich ein untrennbares Ganzes, ein von den Spuren des Leids, aber auch der Hoffnung auf ein besseres Leben zeugender, ein die Seele wärmender, ein durchaus weltlicher "Heiliger Rock".

 

Ein klärendes Wort zum untrennbaren Ganzen dieses Rocks. 1825 hatte Heine in einem Brief an Moses Moser geschrieben, seine Reisebilder seien „ein zusammengewürfeltes Lappenwerk“. Aber nicht erst aus späterer Sicht erwies sich dieses „Lappenwerk“ (wie Georg Büchners Woyzeck) als Vorwegnahme der Montagetechnik, mit der die „Moderne“, auch die moderne Kunst, die mit dem Heiligen Römischen Reich endgülig zerfallende Wirklichkeit des Mittelalters doch noch als ein Ganzes zu verstehen und sich anzueignen versuchte. Sie ist in dem schon erwähnten Versuch Friedrich Schlegels, für die 1797 noch der Französischen Revolution näher stehende Jenaer Frühromantik eingeführten Begriff der „progressiven Universalpoesie“ (33) angelegt und erforderte - rückblickend betrachtet - eine neue Deutung des „ästhetischen Ganzen“. Das von den Klassikern entwickelte und von den späteren konservativen und reaktionären Romantikern eingeforderte, von tradionalistischen Kunst- und Literaturkritikern teilweise bis heute vertretene ganzheitliche Kunstideal, das mit der von dem Protestanten Goethe (der in seinem Spätwerk auch an die katholische Romantik Konzessionen gemacht hatte), vollendeten „Kunstperiode“, die mit ihm endete, kann jedenfalls auf Heine, Büchner und deren Nachfolger nicht mehr unvermittelt angewandt werden. (34)

 

In Heines Dichtungen wie in seinen übrigen Arbeiten, sogar in den meisten seiner Briefe, herrscht, wenn man sie aus dieser Perspektive betrachtet, eine tiefe Zerrissenheit. Aber der klassisch-ästhetische Begriff der Ganzheit (als vollendete Harmonie oder Stimmigkeit) verliert schon in der Romantik, aber vollends bei Betrachtung der gesammelten Werke Heines seine Erklärungskraft. Denn in ihm bilden Fragen der Religion, der Nation und der Revolution eine untrennbare Einheit. Es sind Heines große poetischen und gesellschaftspolitischen Themen. Mit diesen hat er sich historisch, aktuell, künstlerisch und politisch-visionär als einem zusammenhängenden Ganzen immer wieder auseinandersetzt. Und er hat sie seinen Leserinnen und Lesern in einem Deutsch und in einer assoziativen Montagetechnik nahe gebracht, die uns bis heute wegen ihrer dialektischen Stimmigkeit, ihrer als Einheit aufgefassten Widersprüchlichkeit, mitzureißen, zu faszinieren und zu inspirieren vermag.

 

Man muss Heines Wertesystem, seine Ästhetik, seine politischen Ansichten, seine Dialektik und seine Visionen über die Wege zu einer besseren Zukunft keineswegs teilen. Es ist klar - und es ist ihm immer bewusst gewesen, schon weil ihn die Reaktion daran erinnerte - , dass viele seiner Ansichten auf heftige Ablehnung stoßen würden. Doch wer ihn kritisieren möchte, hat es schwer. Denn Heine war selbstkritisch wie kaum ein anderer Dichter vor und nach ihm. Daher findet man oft bessere Argumente gegen ihn bei ihm selbst als bei sich. Und noch etwas: Heine war sich wie kaum ein anderer Aufklärer seiner Zeit klar darüber, wie langlebig die mittelalterlichen Ideale, ihre gemeinschaftsbildenden und identitätstiftenden Wertvorstellungen sind. Selbst dann noch, wenn sie sich als falsch, ja nicht einmal als Irrtum, sondern als Betrug herausstellen. Daher seine andauernde Beschäftigung mit Fragen der Religion und seine Überzeugung, mit der Philosophie Kants werde sie irgendwann endgültig vom Thron gestürzt, auch wenn es vielleicht Jahrhunderte bedürfe, ehe sich die „Todesnachricht“ allgemein verbreitete habe.

 

So sah das wohl auch der junge Marx, der zwar in seiner Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie feststellte, für Deutschland sei „die Kritik der Religion im Wesentlichen beendigt“, aber dessen ungeachtet seine Hegelkritik noch einmal mit einer radikalen Religionskritik einleitet. Er betrachtet - was wohl auch Heine so sah - die Kritik der Religion als die Voraussetzung aller Kritik. Zu Heines Erbe, das für viele noch immer von großer Bedeutung ist, wie sich auch an dieser Veranstaltung zeigt, gehört nämlich seine Religionskritik ebenso wie seine kritische Haltung zur Nation und zur Revolution. Diese philosophische Kritik verschaffte ihm in den beiden vergangenen Jahrhunderten zwar viele Freunde, aber auch erbitterte und mächtige Feinde. Wer aber glaubt, Heine sei nach 1945 endlich rehabilitiert und in Deutschland als Dichter und Denker integriert, irrt. Denn wie zu seinen Lebzeiten liefert auch die Zeit nach dem Holocaust für viele Christen ihr Glaube die „Legitimation“ für Juden- und für Fremdenhass.

 

Auf die drastischste Weise kann man die Ausgrenzung, Exilierung und christlich-nationale Zurückweisung Heines durch große Teile des deutsches Bildungsbürgertums allein schon mit den vielen gescheiterten Versuchen belegen, in seiner Heimatstadt Düsseldorf ein Heine-Denkmal zu errichten. Bekanntlich hat die österreichisch-ungarische Kaiserin Elisabeth, die die meisten Deutschen leider nur als „Sissi“ kennen, schon im 19. Jahrhundert mit einem erheblichen Geldbetrag eine Bürgerinitiative unterstützt, die eine Heine-Denkmal errichten wollte. Doch der Widerstand der Düsseldorfer Obrigkeiten war derart groß, dass sie ihr Geld wieder zurückverlangte und 1891 im Park ihres Schlosses „Achilleion“ auf Korfu selbst ein Heine-Denkmal errichten ließ. (35)

 

In Düsseldorf gelang dies erst im Jahr 1981. Man kann sich, wie dieses Beispiel zeigt, auch mit einer Blamage Unsterblichkeit sichern. Erst 1988 gelang es, die Düsseldorfer Universität mit Heines Namen zu schmücken und viele ihrer Wissenschaftler sind erkennbar bemüht, ihm auch inhaltlich gerecht zu werden. Doch viele Deutsche machen nur gute Mine zu Bemühungen, endlich Heines Ansehen in Deutschland angemessen zu würdigen. Sie halten diese Bemühungen für ein böses, ein teuflisches oder – schlimmer noch – ein jüdisches Spiel.

 

Ob Maximilian Harden Kaiserin Sissis Heine-Kult im Sinn hatte, als er Heines Werk dessen "Heiligen Rock" nannte, konnte ich nicht ermitteln. Aber der nahezu religiöse Heine-Kult und meine Anspielung auf den Antisemitismus, der auch Heine - freilich noch in der Form des vorkapitalistischen Antijudaismus - in seiner Kindheit sehr hart traf, ermöglicht einem einigermaßen objektiven Blick auf Heines Verhältnis zur Religion. Dem Heine-Kult seiner Anhänger entsprach und entspricht bekanntlich auf der anderen Seite ein erbitterter Heine-Hass. Dessen Wurzel war der mittelalterliche Antijudaismus, unter dem Heine als Kind persönlich litt, den er vor allem (wenn auch allzu einseitig) dem Katholizismus und der Romantik anlastete und der ihn als jungen Mann veranlasste, sich protestantisch taufen zu lassen.

 

Wie wir wissen, hatte diese Assimilation wenig Erfolg. Auch der Protestantismus ist - schon seit Luthers von tödlichem Hass triefenden Tiraden gegen Juden - eine Quelle des Antijudaismus gewesen. Erst rückwirkend wurde Heine auch Opfer des „modernen“ Antisemitismus, der nachweislich ein Produkt des naturwissenschaftlichen Zeitalters und des Durchbruchs des Kapitalismus als eines alles beherrschenden Wirtschaftssystems ist. (36)

 

Der Antisemitismus begründet seinen Judenhass sozialdarwinistisch-biologistisch, verlagert ihn von der Religionszugehörigkeit in die Erbmasse, ins „Blut“, in den Nationenbegriff, der damit in einen tödlichen Nationalismus umschlug. Daher bot der Übertritt zum Christentum auch protestantisch getauften Juden keinen Schutz mehr, denn wer immer „jüdisches Blut“ (sprich genetisches Erbgut) hatte, hatte selbstverständlich den alle Übel dieser Welt verursachenden „jüdischen“ Charakter. Er konnte Juden, auch wenn sie überzeugte Christen oder sogar deutsche Nationalisten geworden waren, von ihren antisemitischen Feinden und Todfeinden nach Belieben und Bedarf angedichtet und mit tödlichen Konsequenzen angelastet werden.

 

Heine, der Sohn liberaler jüdischer Eltern, hatte sich - wie manche seiner jüdischen Zeitgenossen - nicht aus innerer Überzeugung, sondern um der Diskriminierung bei der Berufswahl zu entgehen, erst kurz vor dem Erwerb seines Doktors der Rechte, taufen lassen. Er wollte Anwalt werden, und später erwog er, eine Hochschullaufbahn einzuschlagen. Aber da hatte die Reaktion längst wieder Oberwasser. Er war allerdings nicht - wie die Nazis in ihrem von Theodor Fritsch herausgegebenen „Handbuch der Judenfrage“ (37) behaupteten - zum Katholizismus über, sondern war - was zum Gegner der „katholischen Kunst“ wirklich besser passte, Protestant geworden. Es war wohl Fritsch’s Hass auf den Katholizismus, der zu diesem Fehler führte. Es muss den Juden Harry Heine, der nach seiner Taufe Heinrich hieß, tief getroffen haben, dass ihn seine Mitschüler, selbst Freunde, schon als Kind foppten und Haarüh gerufen hatten. So rief nämlich der Fuhrmann Dreckmichel seinen Esel.

 

Heine war ja nicht streng jüdisch erzogen worden. Seine Familie gehörte dem aufgeklärten jüdischen Bürgertum an. Von seiner Mutter berichtet Heine in seinen „Memoiren“, sie sei eine Schülerin Rousseaus und „ihr Glaube ein strenger Deismus“ gewesen. (38) Deisten glauben bekanntlich an Gott nur aus Verstandesgründen. Damit stehen sie im Gegensatz zum Gottesverständnis der Offenbarungsreligionen, die sich mit ihrem Glaubensbekenntnis auf heilige Schriften berufen. Der Deismus war der vorherrschende Glaube der Aufklärer, besonders aber der liberalen Juden. Heine muss davon viel in sich aufgesogen haben. Die Schilderung einer „Standrede“, die ihm sein Vater hielt, als der davon hörte, dass sein Sohn Philosophie studiere und der „Gottesleugnung“ beschuldigt wurde, dass er Spaß an irreligiösen Spöttereien habe, sagt uns aber, dass er schon in jungen Jahren zumindest an seiner anerzogenen Vernunftreligion gezweifelt haben musste. Sein Vater sagte ihm: „Du darfst mir also aufs Wort glauben, wenn ich mir erlaube Dir zu sagen, das der Atheismus eine große Sünde ist.“(39)

 

Heine hat tatsächlich, was er später bereute, längere Zeit einem fast militanten, vielleicht an Voltaire geschulten Atheismus angehangen. Noch im "Wintermärchen", das Anfang 1844 abgeschlossen war und seine Deutschlandreise von 1843 literarisch nachbereitete, heißt es gleich in Caput 1, wo ein Mädchen den Hunger und Elend in Deutschland besingt und tröstend auf das Himmelreich verweist, völlig unmissverständlich: „Es wächst hienieden Brot genug / Für alle Menschenkinder,/ Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust, / Und Zuckererbsen nicht minder. - Ja, Zuckererbsen für jedermann,/ sobald die Schoten platzen, / den Himmel überlassen wir / den Engeln und den Spatzen.“

 

Derart provozierende Verse und viele seiner sonstigen Attacken - vor allem gegen die katholische Kirche - waren für die Christen im Jahr der Trierwallfahrt 1844 (in dem das Wintermärchen geschrieben wurde und erschien) und ist für die orthodoxen Christen bis heute das offene Geständnis Heines seiner Gottlosigkeit und seiner Kriegserklärung an die Gläubigen. Heine selbst gibt an mehreren Stellen seiner Schriften zu, es mit dieser Kritik an der Religion in seinem jugendlichen Eifer etwas übertrieben zu haben. Er habe eigentlich immer nur Klerus und Priesterschaft, den sterblichen Leib des Christentums, nicht dessen ewige, unzerstörbare Seele, nicht dessen Idee angegriffen, die sei, wie jede Idee, unsterblich. (40)

 

Die Idee des Christentums ist nach Heines Deutung im Urchristentum aufzufinden. Ursprünglich ist sie eine Art sozialistische oder kommunistische - und um es mit Max Webers Begriff zu verdeutlichen – eine "liebeskommunistische" Idee gewesen. Nach Heines Ansicht wurde sie später verfälscht, missbraucht und zweckentfremdet durch den Anspruch auf Aufrechterhaltung und ständige Erweiterung der Macht des jeweiligen römischen Bischofs, sprich: der Päpste. Das drückt sich nach seiner Auffassung am deutlichsten in der weltweit die Freiheit beschränkenden „katholischen Kunst“ aus. Die über diese Kunst verbreitete Denkweise, die vom Prinzip des Gegensatzes von Gut und Böse durchdrungen ist, hat das ganze Leben der christlichen Völker wie eine ansteckende Krankheit beeinflusst, einer Krankheit, unter der selbst, wie er sagt - „wir Modernen“ - noch immer leiden. Auch diejenigen, die schon genesen seien, könnten doch der allgemeinen Lazarettluft nicht entrinnen.

 

Sein Fazit: Selbst der Gesunde fühle sich in seiner Vereinzelung unter lauter Siechen unglücklich. Wenn die Menschheit von dieser Krankheit erst einmal genesen, der gestörte, von der Kirche um des Machterhalts ihrer Oberen willen zerstörte ursprüngliche Friede zwischen Leib und Seele wieder hergestellt sei, würde man den Hader, den das Christentum gestiftet habe, kaum noch begreifen können. Heine prophezeit den kommenden Generationen, dass sie dann glücklicher sein werden. Sein Bekenntnis: Er glaube an den Fortschritt, und daran, dass die Menschheit zur Glückseligkeit bestimmt sei. Daher könne er von sich sagen, er habe eine größere Meinung von Gott als diejenigen, die glauben, Gott habe die Menschheit „nur zum Leiden erschaffen“. Wörtlich: „Schon hier auf Erden möchte ich, durch die Segnungen freier politischer und industrieller Institutionen, jene Seligkeit etablieren, die, nach der Meinung der Frommen, erst am Jüngsten Tage, im Himmel, stattfinden soll.“ (41)

 

Aber, fragt er dann - was typisch für Heines Denkweise ist - ganz unvermittelt: Was, wenn beides törichte Hoffnung, wenn die Menschheit vielleicht doch zum ewigen Elend verdammt ist, von Despoten zertreten, von den Spießgesellen derselben ausgebeutet und von den Lakaien verhöhnt zu werden? Die verblüffende Antwort: In diesem Falle müsste man das Christentum dennoch zu erhalten suchen, müsste in der Mönchskutte barfuß durch Europa laufen, die Nichtigkeit aller irdischen Güter und Entsagung predigen und den gegeißelten und verspotteten Menschen das tröstende Kruzifix vorhalten und ihnen nach dem Tode, dort oben, alle sieben Himmel versprechen.(42)

 

Dass die Obrigkeiten sich so viel Mühe geben, das Christentum zu erhalten, führt Heine darauf zurück, dass sie sich vielleicht ihrer Übermacht zu gewiss sind und im Herzen beschlossen haben, diese ewig zu unserem Unglück zu missbrauchen. „Das endliche Schicksal des Christentums ist also davon abhängig, ob wir dessen noch bedürfen.“ (43) Wer sich die Äußerung von Marx über Religion in Erinnerung ruft, Religion sei „Opium des Volkes“, wird aus Heines Worten heraushören, dass diese beiden Hegelianer, die eine lebenslange persönliche Freundschaft verband, sehr ähnliche Ansichten über Religion hatten. Ich werde auf die Beziehung Heines zu Karl Marx im Rahmen der beiden nächsten Themenkomplexe, in denen es um Heines in seinem Werk bezogene Stellung zur Nation und Revolution geht, zurückkommen.

 

Vorher jedoch muss ich noch von Heines Verhältnis zu Luther sprechen, denn - wie schon gesagt - Heine trat als Erwachsener zum Protestantismus über. Warum? Luther ist aus Heines Sicht der erste erfolgreiche Vertreter der Moderne, denn ihm gelang, was selbst große Feldherrn mit ihren Armeen nicht schafften: er zerstörte den monolithischen Block des Katholizismus, brach dessen Monopolstellung und eröffnete damit - auch wenn Luther noch persönlich vom Teufel heimgesucht wurde und mit dem Tintenfass nach ihm warf, was auch nur eine sehr schöne Metapher sein könnte - das Zeitalter der Aufklärung. Heine zieht deshalb eine direkte Linie von Luther bis Lessing, den er nicht minder verehrte. Luther war jedoch - nicht nur für Heine, auch für die progressive deutsche Literatur - weit mehr als nur der Reformator der Kirche, er war zugleich der Schöpfer der modernen deutschen Sprache. Wir wissen, dass Heine die von Luther übersetzte Bibel immer und immer wieder las, dass sie neben seinem Bett lag, und er aus der kraftvollen, volksnahen Sprache für seine kritischen Schriften wie für seine feinsinnigste Lyrik schöpfte, als wäre sie eine erfrischende Quelle.

 

Leider fehlt hier die Zeit, ausführlich nachzuerzählen, wie Heine den Reichstag zu Worms schildert, wie er die Heuchelei der daran Beteiligten aufdeckt, um dann festzustellen, dass dort nach seiner Überzeugung nur ein einziger Mann beteiligt war, der nicht an sich selbst dachte. Das war Luther, der kleine katholische Mönch. Luther, so Heine in seiner „Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ (44), sei nicht nur der größte, sondern auch „der deutscheste Mann unserer deutschen Geschichte“, weil in seinem Charakter alle Tugenden und Fehler der Deutschen aufs großartigste vereinigt gewesen seien. In ihm seien extreme Widersprüche, ja feindliche Gegensätze anzutreffen. So sei er zugleich ein Mystiker und ein Mann der praktischen Tat gewesen. Mit uneingeschränkter Zustimmung hebt er hervor, dass der Spruch, „Wer nicht liebt Wein, Weiber und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang“, von eben diesem Luther stamme, auf den sich ja auch – wenngleich nicht so radikal wie auf Calvin - die asketische Lebensführung vieler Protestanten bezieht.

 

Heine rühmt Luther über alles und sagt den Zweiflern, es zieme wenig, über die Beschränktheit seiner Ansichten zu klagen, denn indem er die Autorität des Papstes gebrochen und auf uns alle diese Autorität, nämlich das Recht auf Auslegung der Bibel, verteilt habe, beginne unumkehrbar ein neues Zeitalter. Mit seiner Reformation zerfalle die bis dahin absolute Kirche in „religiöse Demokratien“ und das alttestamentarisch judäisch-deistische Element könne sich wieder erheben. Jetzt käme die Philosophie wieder zu ihrem Recht, die von der allmächtigen katholischen Theologie über viele Jahrhunderte unterbunden worden sei. Mit wunderbarer Leichtigkeit beweist Heine, dass aus der lutherischen Denkfreiheit die moderne Meinungs- und Pressefreiheit sowie die akademische Freiheit abgeleitet werden können. Sie sind aus Heines Sicht (trotz der preußischen Zensur) für Deutschland ein protestantisches Recht. Und die Poesie „ist jetzt nicht mehr (wie die katholische des Mittelalters) „objektiv, episch und naiv“, sondern „subjektiv, lyrisch und reflektierend“(45), mit einem Wort: protestantisch.

 

3. Heines Begriff von Nation

Ich komme zu Heines Begriff von Nation oder zu Fragen wie: Was ist „deutsch“? Und wie steht der frankophile Heine zu Deutschland? Es wurde ja schon im Zusammenhang mit Heines Verhältnis zur Religion in Umrissen deutlich, dass er den ihm verhassten Katholizismus durchaus zu schätzen wusste, wenn er über dessen Universalität - modern ausgedrückt - dessen Kosmopolitismus, noch zeitgemäßer, dessen Internationalismus nachdachte und dem Nationalismus den Kampf ansagte. Denn Heine ist durch und durch Kosmopolit, und trotz seiner Liebe zu Deutschland schon ein moderner Europäer, ja ein Weltbürger, ein Internationalist.(46)

 

Dieser Widerspruch kann erklären, weshalb Heines Liebe zu Deutschland sich als Hassliebe auslebt. Wer kennt nicht Heines Verse: „Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“. Nein, diese am meisten mit falscher Quelle angegeben Verse stammen nicht aus dem „Wintermärchen“, sondern aus dem Gedicht „Nachtgedanken“. Sie sagen in wenigen Worten, was im „Wintermärchen“, ja in nahezu allen Schriften Heines, ein Leitmotiv seines Denkens und Schreibens ist.

 

Kaum ein deutscher Dichter hat sein Leiden, und damit - so sehe ich das - seine von der Mehrheit der deutschen Eliten zurückgewiesene Liebe zu Deutschland so tief und so glaubwürdig in seinem Gesamtwerk verewigt wie er, der ein Vierteljahrhundert im französischen Exil lebte, für Frankreich zu sterben bereit war, sich aber weigerte, seine Gedanken in die „Zwangsjacke“ der Alexandriner zu pressen, die für ihn zur katholischen Kunst gehörte.

 

Dieses zwanghafte Kunstverständnis - hier in Form eines Versuchs, das Mittelalter wieder zu beleben - bekämpft Heine, der letzte Romantiker - vor allem bei den deutschen Romantikern. Seine Auseinandersetzungen mit diesen muss man selber lesen, dass lässt sich in einem kurzen Vortrag nicht annähernd gerecht zusammenfassen und nicht wiedergeben, ohne zusätzliche Missverständnisse zu produzieren. Denn Heine ist einerseits selbst den deutschen Romantikern näher als die meisten anderen Kritiker der Romantik, aber keiner der Romantikkritiker hat derart entschieden die deutsche Romantik demontiert wie er. In ihr sah Heine keineswegs die „progressive Universalpoesie“, die der jüngere Bruder seines ehemaligen Bonner Mentors August Wilhelm Schlegel, nämlich Friedrich Schlegel, der für die frühe (die Jenaer) Romantik steht, in ihr zu erkennen meinte. Heine, für dessen Dichtung der Begriff „progressive Universalpoesie“ durchaus zutreffend ist, sah in der Romantik vielleicht noch das Universale, aber nichts Progressives, vielmehr den Versuch, nach dem von Napoleon erzwungenen Ende des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation und der Politik der Säkularisierung des Staates das Mittelalter mit seiner von kirchlichen Dogmen strangulierten Kunst doch wieder auferstehen zu lassen.

 

Wenn Heine das Bismarckreich (als Zweites) oder das „Dritte Reich“ erlebt und - was beim Dritten unbedingt hinzugefügt werden muss - überlebt hätte, hätte er uns sicher bewiesen, dass er genau vor diesem sich modernster Waffen- und Tötungstechnik bedienenden und von den Massen deshalb als der Moderne zugehörig empfundenen Rückfällen ins Mittelalter frühzeitig gewarnt habe. So sehr Heine die deutschen Tugenden liebte, jagten sie ihm doch zugleich auch große Ängste ein, zumal er hinter der Fassade des katholischen Glaubens die noch tiefer liegenden Wurzeln des nach Führern und Heroen süchtigen Germanenkults erkannte. Er hielt die Deutschen für das „stärkste und das klügste Volk“, weil seine Fürstengeschlechter auf allen Thronen Europas saßen und die Rothschilds „alle Börsen der Welt“ beherrschen, und weil deutsche Gelehrte in allen Wissenschaften regieren. Doch wenn jemand in die Zeitung einrücken lasse, seine Gattin habe ein Töchterchen „so schön wie die Freiheit“ zur Welt gebracht, griffe der Dr. Hoffmann zu seinem Rotstift und streiche „die Freiheit“. (47)

 

Diese in den deutschen Tugenden versteckte Freiheitsfeindlichkeit hasste er. Sie waren ihm zu rechtwinklig, zu repressiv, zu ausdauernd bereit, Freigeister, Kritiker, Poeten, Dissidenten zu denunzieren, ihnen Zwangsjacken zu verpassen, sie hinter Gitter zu bringen oder zur Flucht ins Exil zu zwingen. Eine von vielen eindruckvollen Äußerungen dazu: „Das deutsche Volk lässt sich nicht leicht bewegen; ist es aber einmal in irgendeine Bahn hineinbewegt, so wird es dieselbe mit Ausdauer bis ans Ende verfolgen. So zeigten wir uns in den Angelegenheiten der Religion. So zeigten wir uns auch in der Philosophie. Werden wir uns ebenso konsequent weiterbewegen in der Politik?“(48)

 

Bei den deutsch-nationalistischen Christen und Philosophen war man sich immer (und ist man sich heute noch) ziemlich sicher, dass Heine die Nation spalte. Ich halte dagegen und sage: Nein, er wollte die vorhandene Spaltung überwinden. Denn davor haben seine Gegner, die mit der Spaltung des Volkes ihre Macht sichern, Angst. Sie trieben deshalb viele bedeutende Deutsche, auch ihn, ins Exil, um den inneren Widerspruch zu eliminieren. Heine bekämpft die Ursachen dieser Spaltung. Und es sind keineswegs nur religiöse und philosophische, es sind auch ökonomische. Daher hält er all jenen, die diese Ursachen nicht sehen wollen, den Spiegel vor die Nase und jagt ihnen vor allem mit seinen frühsozialistischen Vorstellungen einen fürchterlichen Schrecken ein. Seine Feinde hassen in ihm den Überbringer der schlechten Nachrichten. Denn er sagt ihnen sinngemäß: Die Franzosen haben ihren König geköpft, um ein Zeichen gegen das Mittelalter zu setzen. Das französische Bürgertum hat die Kirche aus dem Staatsapparat entfernt und ist damit einen wichtigen Schritt, wenn auch nicht den letzten, in Richtung einer Gesellschaft vorangegangen, die das Elend der Spaltung überwinden könnte.

 

Indem Heine den Deutschen die guten Seiten der französischen Politik und den Franzosen die guten Seiten der deutschen Geisteswelt vermittelt, nimmt er gedanklich vorweg, was – neben der im Kalten Krieg drohenden kommunistischen Gefahr - nach dem Zweiten Weltkrieg als deutsch-französiche Freundschaft die Entwicklung eines Vereinigten Europas zu ermöglichen schien.

 

Eine Habilitationsschrift von Renate Stauf zum 200ten Geburtstag Heines (Technische Universität Berlin) hat auf diese Leistung erstmals hingewiesen: „Mit Heine verband man bisher die Vorstellung eines Europas ohne Nationen, die Schaffung einer europäischen Identität.“ Nicht so Renate Stauf, die in ihrer Habilitationsschrift ein anderes Bild entwarf. Sie schreibt: „Heines Europavision ist vielmehr eine deutsch-französische Liebesgeschichte, eine Art Traum vom großen Paar“. Und: „Für Heine waren Deutschland und Frankreich die beiden auserwählten Länder der Humanität.“ Den restlichen Ländern habe er bei der Schaffung seiner Europaversion entweder eine Komparsenrolle zugewiesen oder sie gänzlich ausgeschlossen, wie etwa England. (49)

 

Diese Antwort ist schlüssig. Sie zeigt, dass Heines Begriff von Nation nur als interkultureller begriffen werden kann, der mit dem völkisch-rassistischen der deutschen Nationalisten, ob sie ihren Nationalismus religiös oder biologisch- rassistische begründen, unvereinbar ist.

 

4. Heinrich Heine und die Revolution

Heine ist sich - bei aller Liebe zu Frankreich - bewusst, dass die postfeudalistische bürgerliche Gesellschaft, in der er lebt, eine kapitalistische, also nicht die von der Aufklärung und den bürgerlichen Revolutionären verheißene freie und zugleich gerechte Gesellschaft ist. Aber auch nicht sein konnte. Was 1789 den Franzosen, ja der ganzen Menschheit, vorgeschwebt hatte, hatte mit den revolutionären Ereignissen und den dann folgenden Entwicklungen kaum noch etwas zu tun. Die von der neuen Ordnung Frankreichs gewährten bürgerlichen Freiheiten waren zwar weit größer als die der im mittelalterlichen Feudalismus stecken gebliebenen und besonders nach dem Sieg über Napoleon gegen die Moderne mobil machenden deutschen Staaten. Aber sie erwiesen sich – trotz vieler Fortschritte - auch im nachrevolutionären Frankreich als äußerst prekär und selektiv. Nicht nur die Freiheit, auch die Gleichheit war nach der Revolution von 1789, nicht einmal nach der von 1830, formalrechtlich gewährleistet. Denn die neue Freiheit war objektiv die Freiheit der ökonomisch Stärkeren.

 

Heine kannte die innenpolitischen Probleme Frankreichs schon vor seiner Übersiedlung nach Paris. Und ihm war immer bewusst, dass nach der großen Revolution des Jahres 1789 weitere nötig waren. Die Hoffnungen der Julirevolution des Jahres 1830 waren bald verflogen, und er war von dieser ebenso enttäuscht wie von der des Jahres 1848.

 

Heine hatte sich - wie er bekannte - intensiv mit dem frühsozialistischen Saint-Simonismus befasst und in den Rang eines Glaubensbekenntnisses erhoben. Die extremen sozialen Missstände - die auf die Eigentums-verhältnisse zurückgeführt wurden - mussten durch die Lösung der Eigentumsfrage überwunden werden. Doch die Macht derer, die über Eigentum verfügen, konnte – weil sie das Gewaltmonopol des Staates unter ihrer Kontrolle hatten, mit friedlichen Mitteln nicht gebrochen werden. Mit der Julirevolution waren neue Hoffnungen geweckt worden, die Heine nach Paris gelockt hatten. Dort herrschte für Künstler und Wissenschaftler größere Freiheit, aber auch das soziale Elend wurde eher größer. Es war vorhersehbar, dass weitere Revolutionen folgen würden. Die nächste folgte 1848. Auch diese, wie schon von den beiden vorherigen, strahlten auf fast ganz Europa aus. Doch Heine war nicht entgangen, es war ihm sogar schon früher als dem 21 Jahre jüngeren Karl Marx klar geworden, dass die bürgerlichen Revolutionen nur der Emanzipation des Bildungs- und Besitzbürgertums dienten, dem im Feudalismus unterprivilegierten „Dritten Stand“. Der besitzlose „Vierte Stand“, das „Proletariat“, ging jedes Mal leer aus.

 

Der Proletarier besaß der Definition seines Sozialstatus gemäß nichts als seine Arbeitskraft, die ihrer grenzenlosen kapitalistischen Ausbeutung durch Rechtlosigkeit zur freien Verfügung stand. Daher hielt Heine, noch vor Marx und Engels, sozialistische bzw. „communistische“ Revolutionen für unvermeidlich. Es war diese Auffassung (und nicht, wie er einmal äußerte, sein Stil) die von Anfang und heute noch selbst Heine-Anhänger, die seine vertonte Liebeslyrik kennen und genießen, irritiert oder abstößt. Man muss die beinahe fatalistische Auffassung Heines gegenüber Revolutionen - auch wenn man sie nicht teilt - zur Kenntnis nehmen, schon um seinem Gesamtwerk gerecht zu werden, das er - wie dargelegt - als ein Ganzes gesehen und verstanden haben wollte und das Harden wahrscheinlich auch deshalb als Heines "Heiligen Rock" bezeichnete.

 

Lassen Sie mich also noch einige klärende Anmerkungen über Heines Verhältnis zu Revolutionen und zum „Com(m)unismus“ machen. Maximilian Harden muss im Jahre 1891, dem Jahr der Aufhebung des Sozialistengesetzes, als er Heines Werk mit diesen Weihen versah, an den „Sozialisten“ Heine gedacht haben. Denn Harden war hinreichend bekannt, dass die „Pariser Commune“ schon 1871 einen - damals schnell niedergeworfenen - revolutionären Versuch unternommen hatte, ein Gemeinwesen, nämlich die Großstadt Paris, rätedemokratisch zu regieren.

 

Die Rätedemokratie ist bekanntlich die Idealform kommunistischer, also nicht parteienstaatlicher, über Parlamente organisierter Konsensbildung. Wer sich heute vergegenwärtigt, dass 1891, nach 12 Jahren Sozialistengesetz, die Sozialdemokratie wieder zugelassen wurde und gestärkt aus dieser Repressionsphase

hervorging, vor allem jedoch, wer die ideologischen Auseinandersetzungen um Heine in Deutschland während des Kalten Krieges kennt, die für die Durchsetzung des Gesamtwerks nach 1945 von größter Bedeutung sind (50), versteht besser die nachhaltige gesellschaftspolitische Wirkung Heines, die ich hier nur andeuten konnte. Ich werde ihnen Heines Verhältnis zur Revolution und zum Kommunismus anhand der Freundschaft zwischen ihm und Marx verdeutlichen, und dies vor allem aus der von mir geteilten Sicht des Historikers Franz Mehring. (51)

 

Heine und Marx lernten sich in Paris kennen, wohin der junge Marx (Jahrgang 1818) im Herbst 1843 gegangen war, um - wie der sozialdemokratische Historiker Franz Mehring 1895 in einem Aufsatz über Heine schrieb - „Ökonomie, französische Geschichte und französischen Sozialismus zu studieren“. (52) Damals war Marx ein zwar schon sehr kritischer, aber doch eher noch dem revolutionären Liberalismus zuzurechnender Journalist. Der Liberalismus - das wollen die heutigen Wirtschaftsliberalen nicht mehr wissen - war damals tatsächlich noch dort revolutionär, wo Kirche und Feudalstaat, das heißt Klerus und Adel, gemeinsame Sache machten und die absolute Macht beanspruchten. Revolutionär war der Liberale demnach nur, wenn es darum ging, die christlichen und weltlichen Feudalherrn, die sich am Mittelalter und ihren aus dieser untergegangenen Welt stammenden Privilegien festklammerten und jeden gnadenlos bekämpften, der ihren Grundbesitz und damit ihre Macht in Frage stellte. Sozial war dieser aufgeklärte politische Liberalismus ganz Europas vor allem, um dem alten System die Volksmassen abspenstig zu machen. Das änderte sich sehr schnell, wo er den von Feudalherrn beherrschten Staat gewaltsam erobert, die Staatskassen unter seine Kontrolle gebracht und die Freiheit des Kapitals durchgesetzt hatte.

 

Nach seinem Sieg über die alte Ordnung revoltierte der Liberalismus nur noch gegen Tendenzen zur Rückkehr des Feudalismus, gegen zu hohe Steuern für Reiche, gegen sozialpolitische Forderungen der erstarkenden Arbeiterparteien, gegen Gewerkschaften und gegen die wegen ihrer massiven Unterdrückung sich radikalisierende antikapitalistische Linke. Vor allem in Deutschland, aber nicht nur dort, war dieser Liberalismus anfangs noch verbündeter der entstehenden Arbeiterbewegungen. Aber wie er gegen die Wirtschaftsethik des orthodoxen Christentum (Zins- und Wucherverbot) mobilisierte, die sich der schrankenlosen unternehmerischen Betätigungsfreiheit in den Weg stellte, rüstete er auch auf gegen die kommunistische Forderung nach Einschränkungen dieser Freiheit, besonders gegen diejenigen, die in der Enteignung kapitalistischen Eigentums die Lösung der sozialen Frage sahen.

 

Ob es sich um christliche, sozialistische oder kommunistische Bewegungen und Bestrebungen handelte, der politische Liberalismus verfocht zunehmend Begriffe von Freiheit und Gleichheit, die in ihrer verrechtlichten Form mit den Vorstellungen der Massen von Gerechtigkeit nichts mehr zu tun hatten. Auch nicht denen Heinrich Heines. Die einst proklamierten allgemeinen Bürger- und Menschenrechte galten nur, soweit sie kapitalistische Interessen sicherten.

 

So erklärt sich, weshalb bürgerlich verfasste Staaten den zum Feudalismus gehörenden und ebenso überlebten Kolonialismus nicht abschafften, sondern ihn schrittweise in die finanzkapitalisti-schen Formen des moderneren Imperialismus überführten. Nur so erklärt sich, weshalb der politische Liberalismus sich am Ende sogar im Bündnis mit feudalistischen Krautjunkern und sich Nationalsozialisten nennenden deutschen Faschisten verbündeten, obgleich deren „Führer“ sich „Nationalsozialist“ nannte, die Ausrottung der Juden und Kommunisten sowie die Eroberung und Kolonisierung des Osten als seine wichtigsten politischen Ziele erklärt hatte.

 

Heine sympathisierte anfangs noch mit dem frühen, teils sozialrevolutionären, gegen das Mittelalter ankämpfenden politischen Liberalismus seiner Zeit. Er erkannte aber, wie der Konflikt zwischen ihm und Börne belegt, schon früh krasse Widersprüche, die er als Ursache sowohl der restaurativen Tendenzen als auch der sozialistischen und kommunistischen Revolutionsbestrebungen erkannte. Der politische Liberalismus geriet zwischen die Fronten derer, die das untergehende Mittelalter retten und derer, die ihm den Todesstoß versetzen wollten, zwischen Christentum und Kommunismus, zwischen Idealismus und Materialismus, oder - literarisch ausgedrückt, wie das der romantische Dichter Wackenroder damals formulierte, „zwischen Himmel und Erde“. (53)

 

Die kapitalistische Eigentumsfreiheit konnte im Frühkapitalismus nur auf der Basis eines nationalen Flächenstaates mit zollfreien Märkten realisiert werden. Die sozialen und politischen Folgen für die kleinen Bauern, Handwerker, Krämer und Eigentumslosen waren jedoch katastrophal und führten zu weiteren bürgerlichen Revolutionen, weil deren Versprechen darin lagen, dass nur mit mehr Wirtschaftsfreiheit die sozialen Probleme gelöst werden könnten. So konnte das Kleinbürgertum wie das Proletariat für die Ziele kapitalistischer Politik gewonnen werden. Im rückständigen Deutschland, in dem das Obrigkeitsdenken noch tief im Bürgertum und bei Kleinkrämern, Handwerkern und Bauern verankert war, versuchten die aufgeklärten Absolutisten mit eine Revolution von oben, die drohende von unten rechtzeitig abzuwenden. (54)

 

Durch ihre Revolutionen hatten Frankreich und England gegenüber der deutschen feudalistischen Kleinstaaterei weit mehr bürgerliche Freiheitsrechte und damit auch erhebliche wirtschaftliche Wettbewerbsvorteile und einen beachtlichen wirtschaftlichen Entwicklungsvorsprung.

 

Die Revolutionen hatten eine bürgerliche Geldaristokratie an die Schaltstellen staatlicher Macht gebracht und mit deren Hilfe dem berüchtigten Manchesterkapitalismus, dem Freihandel, der Politik der offenen Türen, und dem sich schon abzeichnenden Zeitalter des finanzkapitalistischen Imperialismus nahezu alle Handelshindernisse und Investitionshemmnisse aus dem Weg geräumt. (55) In seiner aus früheren Zeitungsberichten zusammengestellten Schrift „Lutezia“ finden sich nahezu alle entscheidenden Gedanken zu der Heine bewegenden sozialen Frage. Über die Errungenschaften des Kapitalismus berichtete er schon nach seinem Besuch auf englischen Werften, dort habe er „keine einzige große Idee, nichts als Dampfmaschinen und Hunger“ (56) angetroffen.

 

Mit der Unabhängigkeitserklärung und damit Gründung der USA aus Kolonien europäischer Feudalstaaten, vor allem des fortgeschrittenen England, war objektiv das Ende des Kolonialzeitalters gekommen. Und angesichts einer überwiegend aus Einwanderern und importierten Sklaven bestehenden Bevölkerung war es zwingend, das Prinzip der gegenseitigen Duldung (Toleranz) gegenüber Andersgläubigen, Andersfarbigen und überhaupt Andersdenkenden verfassungsrechtlich wie in einzelnen Gesetzen zu verankern. Bis heute sind zumindest subjektiv weder das Kolonialzeitalter noch der aus dieser Zeit stammende Rassismus beendet. (57)

 

Doch Heine trifft schon früh die für den Übergang vom Feudalismus (und den diesem zugehörigen) Kolonialismus zum Kapitalismus und dem für seiner Wirtschaftsweise typischen Imperialismus sowohl theologisch, philosophisch und ökonomisch als auch sozialpsychologisch relevante Feststellung, dass wir Menschen nicht mehr an die Wunderkraft des Blutes, weder der Edelleute noch Gottes, sondern nur noch an die des Geldes glauben. Er stellt daher die Frage: „Besteht nun die heutige Religion in der Geldwerdung Gottes oder in der Gottwerdung des Geldes?“(58)

 

Die nach dem Sturz der Feudalordnung bürgerlich dominierte Nation brauchte den rechtsstaatlich verfassten Nationalstaat, allein schon um die innenpolitischen strafrechtlichen und polizeilichen Machtmittel halbwegs demokratisch zu legitimieren. Es galt, als Kapital und sonstiges Privateigentum angelegtes Geld vor den kapitalistischen Konkurrenten, den Armen, dem erstarkenden und sich seine Emanzipation erkämpfenden Proletariat zu schützen.

 

Um den als Quelle des Reichtums definierten Außenhandel abzusichern und auszudehnen, bedurfte es aber nicht mehr unbedingt großer Kolonien. In den bürgerlich regierten Staaten Europas, die die koloniale Erbschaft der gestürzten Feudalordnungen übernahmen, entwickelten, auch unter dem wachsenden innenpolitischen demokratischen Druck, allmählich einen pluralistischen Begriff von Nation, der in den Kleinstaaten des zerfallenden Weltreichs der Habsburger die finstersten Untergangsstimmungen auslöste und schon zu Metternichs Zeiten extreme Abwehrkräfte gegen den Untergang des Abendlandes mobilisierte.

 

Es war kein geringerer als Napoleon I., der mit seiner Säkularisierungspolitik im eroberten Deutschland die erste Weichenstellung zur Gründung eines deutschen Flächenstaats als eines auf bürgerlichen Verfassungen beruhenden Nationalstaat durchsetzte. Daher hat Heine ein klares Bewusstsein von den Unterschieden zwischen dem französischen Nationalgefühl, dem Bekenntnis zur Grand Nation, und dem deutschen Nationalismus, der antidemokratischen Zwangsneurose. Letztere war es, die Heine schlaflose Nächte bereitete.

 

Es fehlt mir auch hier die Zeit aufzuzeigen, wie sehr Heine sich eine politisch vereinigte deutsche Nation ohne Zensur und Unterdrückung der Freiheitsideen wünschte und sich doch vor ihr fürchtete. Diese auf Erfahrungen basierende Furcht veranlasste den im Grunde hoffnungsfrohen Menschen immer wieder zu finsteren Prophetien, machte aus ihm eine deutsche Kassandra. Er sah die schrecklichen Folgen von Bücherverbrennungen voraus, die am Rande des nationalistischen Wartburgfestes im Jahre 1817, auf dem der 300jährigen Reformation gedacht wurde, stattfanden. Ein Zitat aus einem seiner frühen Stücke, Almansor, hat vor diesem Hintergrund geschichtlichen Rang erreicht. Es lautet: „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.”(59)

 

Das 1933 auch seine Bücher verbrannt und in der Folgezeit Millionen Juden, Sozialisten, Kommunisten, also Internationalisten, ermordet wurden, konnten Kenner des Werks von Heine nach 1945 schneller begreifen als jeder andere. Wie konnte Heine zum Propheten des Holocaust werden?

 

Weil der von vielen wegen seines vermeintlichen Unernstes geradezu geliebte Dichter ein durch und durch historisch gebildeter, politischer Mensch und Humanist war und die inhumanen Spuren, die ideologisch verbrämter Machtmissbrauch im gesellschaftlichen Leben, Denken und damit auch Handeln auch der Massen hinterlassen, immer mit dem nötigen Ernst und dem Sinn für das Wesentliche gedeutet hat. Von seiner ernsten Seite her gesehen, ist Heines Werk geradezu messianisch. Heine ist in der Lage, den Glauben an die Möglichkeit, die Welt, die Gesellschaften, das Leben, ja jeden einzelnen Menschen durch kritische Aufklärung zu verbessern, nicht nur rational, sondern auch emotional, ästhetisch, zutiefst humanistisch zu vermitteln.

 

Was diesen Aufklärer auszeichnet ist die Tatsache, dass er nicht bei den Auffassungen der bürgerlichen Aufklärung stehen bleibt, die sich bekanntlich nur um – um mit es Kants Worten zu sagen - die Überwindung der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ des Bürgertums kümmert. Schon früh erkennt Heine, dass der Traum, eine bessere Welt zu schaffen, nicht durchsetzbar ist, solange nicht auch die fremd verschuldete Unmündigkeit, die Fremdbestimmung des Proletariats, und zwar weltweit, überwunden ist. Das hat er nicht von Marx, das hat Marx von ihm. Es ist ihm klar: Ohne Revolution werden Herrschende ihre Macht mit niemandem Teilen, sich zur Kritik allenfalls taktisch verhalten. Dies ist der Grund, warum ich meine, hier auch noch ein paar Erklärungen über Heines Verhältnis zur Revolution abgeben zu sollen. Schon deshalb, weil wir heute wissen, dass die kommunistischen Revolutionen des vergangenen Jahrhunderts gescheitert sind und die arabischen Revolutionen der Gegenwart zu scheitern drohen.

 

Nachdem der Kalte Krieg und damit auch die Herrschaft der Kommunisten über große Teile der Welt beendet ist, ist es im freien Westen wieder etwas leichter geworden, über Heine und sein Verhältnis zu Marx und den Kommunismus zu reden. Allerdings sind die Diskussionen über die Eigentumsfrage seichter, weil auf bloße Verteilungsgerechtigkeit von Löhnen und Gehältern reduziert worden.

 

Diese Sicht wird auch Heine nicht gerecht, weil sie die Radikalität seiner Sozialkritik weitgehend unterschlägt. Lediglich die von der Öffentlichkeit kaum beachtete „Vierte Internationale“60 sieht in Heine noch den Revolutionär. Auf deren Homepage fand ich folgende Äußerung: „Um die mittlerweile unumgängliche Anerkennung Heines als großer Schriftsteller deutscher Zunge zu bewerkstelligen, war es unabdingbar, die Gegensätze zwischen Heine und Marx herauszustellen.

 

Die bürgerliche Medienlandschaft und ihre germanistischen Helfer entdeckten plötzlich Heine auch als Marx’ Gegner. Dazu wurde kurzerhand der „real existierend Sozialismus” stalinistischer Prägung und die zutiefst humanitären Schriften Heines gegenübergestellt. Dass es sich hierbei um eine, milde ausgedrückt, unzulässige Vereinfachung handelt, dürfte auf der Hand liegen. Wer nicht begreift, wie weit Stalin und Marx in wesentlichen Fragen der Philosophie, des Menschenbildes und der Einschätzung des ‚Volkes’ auseinander liegen, dem seien die Schriften Trotzkis, Mandels und anderer nicht nur ins Ikearegal gestellt. Sicher besteht ein Gegensatz zwischen Heine und den Kommunisten stalinistischer Prägung, wohl aber ein eher marginaler zu Marx.“

 

Und weiter heißt es dort: „Heine, dessen sozialistische Träume in den Gedanken der Frühsozialisten wurzelten, sah in seiner Zeit, der Zeit der politischen Rückschläge, immer weniger Möglichkeiten, sie zu verwirklichen. Heine stand zeitlich in seinen politischen Einsichten zwischen Marx und den utopischen Sozialisten. Dazu kam, dass gerade die gescheiterte Revolution von 1848 mit einer tiefen persönlichen Krise Heines zusammentraf. Seine schwere Erkrankung verschlimmerte sich zusehends und zwang ihn, nahezu jede Teilnahme am öffentlichen Leben aufzugeben. Heine konnte kein Kommunist marxistischer Prägung sein. Er verstarb am 17.2.1856. Aber auch aus seiner „Matratzengruft” heraus blieb er ein hellwacher kritischer Beobachter, Kommentator gesellschaftlicher Entwicklungen und Prophet des sozialen Fortschritts. (61)

 

Franz Mehring, der bedeutendste Historiker der deutschen Sozialdemokratie, dessen Aufsätze zur deutschen Literaturgeschichte eine Fundgrube für alle diejenigen sind, die etwas mehr wissen möchten, als zeitgenössische Autoren und Wikipedia liefern, schildert ausführlich die enge und lange Freundschaft zwischen Marx und Heine, sagt aber, dass diese nicht allein mit der Übereinstimmung der beiden in vielen Grundfragen der Gesellschaftskritik und des Sozialismus zu erklären seien. Heine habe nämlich die Gesellschaft als Dichter, das heißt ästhetisch, gesehen, er war weder Wissenschaftler noch Politiker. Und er verabscheute die Massen. Er kannte den Sozialismus sehr gut, und Marx, noch in den Lehrjahren, habe viel von ihm gelernt. Nirgends habe er sein sozialistisches Gedankengut klarer zum Ausdruck gebracht als in Deutschland. Ein Wintermärchen.

 

Aber, worauf nur Mehring aufmerksam macht: Zwischen Heine und Marx gab es ein zwischenmenschliches Erlebnis von großer Bedeutung. Da Heine bei Marx und seiner Frau Jenny über eine längere Zeit tagaus tagein vorsprach, um ihnen seine Verse vorzulesen und das Urteil dieser beiden jungen Leute einzuholen, vor allem mit Marx an den Gedichten zu feilen, geschah es, dass die kleine Tochter Jenny, das am 1. Mai 1844 in Paris geborene Kind des Ehepaars, von heftigen Krämpfen befallen wurde, an denen es zu sterben drohte. Die Familie Marx stand ratlos und verzweifelt herum, als Heine hinzukam und sagte: „Das Kind muss in ein Bad.“ Heine richtete eigenhändig das Bad her und legte das Kind hinein. Er hatte das Leben des Kindes gerettet. Davon waren Marx und seine Familie zeitlebens überzeugt. Marx sah deshalb über Vieles Kritikwürdige an Heines „Sozialismus“ und „Kommunismus“ hinweg, nannte ihn sogar im ersten Band des „Kapital“ seinen Freund. (62) Und es gibt auch einen Briefwechsel, der diese lebenslange Freundschaft bezeugt.

 

Tatsächlich redete Heine „den Sozialisten, oder, um das Ungeheuer beim wahren Namen zu nennen, den Kommunisten“ das Wort. Er war sich sicher, dass dieser Idee die Zukunft gehöre, obwohl er Angst vor dem „Ungeheuer“ hatte. Er befürchtete, die proletarischen Revolutionäre „mit ihren schwieligen Händen“ würden wohl „alle Marmorstatuen der Schönheit zerbrechen“, die ihm so teuer sind. Ihn erfasse Trauer, schrieb er, „wenn er nur daran denke, wie das siegreiche Proletariat seine Verse bedrohe, die ins Grab sinken werden mit der ganzen alten romantischen Welt.“ Und dann folgen Sätze, die viele Geistesgrößen der Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert genau so empfunden haben müssen, weil anders nicht zu erklären ist, weshalb sie sich dem revolutionären Flügel der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung anschlossen, anfangs sogar die Russische Revolution aktiv oder passive unterstützten: „Und dennoch, ich bekenne es offen, übt dieser Kommunismus, der all meinen Interessen und Neigungen so feindlich ist, einen Zauber auf meine Seele, dessen ich mich nicht erwehren kann.“(63)

 

Mehring zeigte jedoch schon zur Zeit, als Harden seinen Artikel über den Heiligen Rock schrieb, dass es nicht die Kommunisten sein würden, die Heines Verse bedrohen, weil sie schon zu seinen Lebzeiten solidarisch zu ihm gehalten hatten, als er von seinen nationalistischen Gegnern wegen angeblicher Korruption verleumdet und bekämpft wurde.64 Tatsächlich haben die Nationalisten, die aus Deutschland ein Drittes Reich schmiedeten, um es ins Mittelalter zurückzuführen, 1933 Heines Verse ins Feuer geworfen. Und es waren, auch wenn das im kalten Krieg kaum einer zu sagen wagte, die Kommunisten, die Heine und die übrigen angeblichen Vaterlandsverräter vor diesen deutschen Barbaren schon vor 1848, vor 1933 und nach auch noch nach 1945 in Schutz nahmen. Mehring formulierte es 1895 so: „Die schwieligen Hände zerbrechen nicht die Marmorstatuen der Schönheit, sie bereiten eine neue Epoche der Kunst vor, welche die Schönheit zum Gemeingut aller macht.“(65)

 

Schlussbemerkung

Ich hoffe, dass dieser Vortrag deutlich gemacht, vielleicht sogar hinreichend bewiesen hat, das es möglich, ja ein äußerst fruchtbarer Gedanke ist, den Maximilian Harden äußerte, als er Heine in den Mund legte und seinem Verlegerfreund Campe sagen ließ, seine gesammelten Werke seien sein "Heiliger Rock". Denn Harden - wie viele seiner Zeitgenossen, auch Franz Mehring - hofften, dass Heines Werk, das damals schon für viele Kultstatus errungen hatte, eines Tages noch größere Massen in Bewegung setzen würde als es der "Heilige Rock" in Trier oder die auf Messen gefeierten industriellen Fortschritte vermochten.

 

Das wäre ein historisch bedeutsames Zeichen dafür, dass die Besserung der Deutschen und der Welt durch Aufklärung und revolutionäre Geduld möglich ist. „Ruhiges Warten“ ist für Heine und andere Leute „denen die Zukunft gehört“, „kein Zeitverlust“. (66) Zweifellos gibt es immer deutlichere Anzeichen dafür, dass die Forderung, revolutionäre Geduld aufzubringen, zur Ausrede demagogischer Machtstrategen geworden ist. Denn vor dem Hintergrund der freigesetzten Zerstörungskräfte des inzwischen globalisierten, weitgehend deregulierten Kapitalismus und den Reaktioen derer, die in der Rettung oder - wo nichts mehr zu retten ist - in der Wiedererrichtung mittelalterlicher Ordnungen den Ausweg suchen, wächst die Angst vor der Zukunft und vor Veränderungen. Dies führt zur Verteidigung des Stillstands, des status quo, oder zu Rückfällen in die Barbarei. 

 

Es hängt also von unserem gesellschaftlich Bewusssein und unserer Bereitschaft ab, ob wir das Mittelalter, den Glauben an die Heilkräfte des "Heiligen Rocks" zu Trier, zu überwinden und durch die liebeskommunistischen Botschaften von Heines Werk und seiner prosaisch-aufklärerischen Weltdeutugen, in die Praxis umzusetzen bereit sind.

 

Anmerkungen

1) Die meisten Heine-Zitate sind – wo nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet – der von dem DDR-Literaturwissenschaftler Hans Kaufmann herausgegebenen, bei Kindler (München) 1964 erschienen, Taschenbuchausgabe Sämtliche Werke I-XIV entnommen. Zitiert wird durchgängig wie bei diesem Zitat: Band XIII. Memoiren, S. 167.

 

2) Memoiren, Band XIII. S. 167.

 

3) Die Romantische Schule, Band IX, S.127.

 

4) Ebda. S.128.

 

5) Paolo Chiarini /Walter Hinderer, Heinrich Heine. Ein Wegbereiter der Moderne. (Stiftung für Romantikforschung 47) Königshausen & Neumann, Würzburg 2009.

 

6) Zum Neuen Deutschland gehörten nach Menzels denunziatorischer Liste neben dem zuerst genannten Heinrich Heine auch Ludwig Börne, Karl Gutzkow, Heinrich Laube, Ludolf Wienbarg und Theodor Mundt noch viele andere - von Menzel und den damaligen Zensoren, teilweise auch von der der Nachwelt vergessene - kluge Köpfe.

 

7) http://www.romantikforschung.de/publi/titel-band47.htm

 

8) Die Romantische Schule, Band IX, S.46. Dazu: Günter Häntzschel: Das Ende der Kunstperiode? Heinrich Heine und Goethe. URL: http://www.goethezeitportal.de/db/wiss/epoche/haentzschel_kunstperiode.pdf

 

9) In Wikipedia steht dazu: „Im Zuge der durch die Französische Revolution entfesselten Koalitionskriege kapitulierte Düsseldorf im Jahre 1795 der französischen Revolutionsarmee und blieb unter französischer Besetzung, bis es im Frieden von Lunéville 1801 an Kurpfalz- Bayern zurückgegeben wurde.“ Zwischen 1806 und 1813 geriet die Stadt durch Gebietstausch wieder unter französischen Einfluss. Ebd.

 

10) www.payer.de/religionskritik/harden01.htm

 

11) Nicht zu verwechseln mit dem Magazin gleichen Namens des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. (DBSV). Harden gab später eine eigene Zeitschrift mit Namen „Die Zukunft“ heraus.

 

12) Am Tag nachdem ich den Vortrag gehalten hatte (in der Wochenendausgabe vom 26. Januar 2013) war zufällig das Plakat - sogar als Zweispalter - zu der genannten Ausstellung in der Frankfurter Rundschau abgedruckt, auf der „die Dame Elektrizität in Siegerpose“ abgebildet ist. Sie erhebt sich zwar nicht über den christlichen Gott, aber über den Gott der Aufklärung Prometheus, und dies im Gestus der „Freiheit“ des berühmten, übrigens von Heine 1831 kritisch gewürdigten Gemäldes von Delacroix. Prometheus verriet den Menschen das nur den antiken Göttern bekannte Geheimnis des Feuermachens. Er wurde dafür von den Göttern zu ewigem Leiden verdammt, an einen Felsen angekettet und von einem Adler attackiert, der ihm die Leber herausreißt.

 

13) www.payer.de/religionskritik/harden01.htm

 

14) Siehe Golo Mann: Deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts, Frankfurt 1958, S.161ff. Selbst der konservative Golo Mann kann sich für Vieles, was Heine schrieb, ehrlich begeistern.

 

15) Marx hatte das „Weberlied“ schon im Jahr des Aufstandes im „Vorwärts“ abdrucken lassen. Das „Sklavenschiff“ ist eine nahezu ausgereifte politökonomische Analyse des Menschenhandels im Frühkapitalismus, die man als Heines Beitrag zur damals im Vorfeld des Sezessions- und Sklavenbefreiungskriegs (1861-1865) in den Vereinigten Staaten geführten Diskussion verstehen kann.

 

16) Die Antisklaven-Lotterie war einegrichtet worden, um zwei Nyanza-Dampfer für den Viktoria-See zu finanzieren, den die deutschen Kolonialherrn Ostafrikas unbedingt brauchten, um ihr Ausbeutungsgeschäft zu effektivieren. Vgl: www.jadu.de/jaduland/kolonien/afrika/tanzania/text/dampfervn.html

 

17) http://www.romantikforschung.de/publi/titel-band47.htm

 

18) Ich spiele hier auf meine eigene Lebensgeschichte an, denn ich war von 1949 bis 1961 (mit mehreren Unterbrechungen durch Arbeitslosigkeit und berufsfremde Tätigkeiten – auch als Vertreter einer Buchgesellschaft) als Werkzeugmacher in verschiedenen Industrien tätig und zugleich das, was Brecht unter einem lesenden Arbeiter verstand. Ich fragte freilich nicht, wer das siebentorige Theben erbaute, sondern wer den Zweiten Weltkrieg angezettelt, wer warum die Judenvernichtung zum politischen Ziel erklärte und die so oft besungene und schwer errungene Deutsche Einheit nach so kurzer Zeit (74 Jahren) schon wieder zerstörte? Hierauf gab Heine tatsächlich auch für „das Volk“ verständliche Hinweise.

 

19) Die losen Bilder habe ich aufbewahrt. Die alten Sammelalben sind heute z.B. bei Ebay zu haben. Die Bilderserie, zu der auch die Loreley gehört, die auf der Rückseite „Lurlei“ genannt wird, erwähnt Heine nicht. Sie gehören zur Serie „Acht Wanderungen durch die deutschen Gaue“ und stammen, wie schon der Begriff „deutsche Gaue“ erahnen lässt, aus der Zeit der NS-Diktatur. Die Geschichte der Düsseldorfer Peter Cremer Standard-, Seifen- und Glyzerin-Werke wäre - ich vermute, auch mit Blick das lange Zeit heinefeindliche Düsseldorf - einer kritischen Studie wert.

 

20) Alice Schwarzer, die zweimal in Paris lebte und zu Heine eine besondere Beziehung entwickelte, erhielt 2006 den Heinrich Heine Preis. In Ihrer Dankesrede verwies sie darauf, dass Heine leider nicht für die Emanzipation der Frauen gekämpft hätte. Ich sehe das etwas anders, aber man kann Heines Verhältnis zu Frauen durchaus wie Schwarzer deuten. „Emancipation“, sagt sie, „ein Begriff, den niemand anderes als der Jurist Heine zum politisch-sozialen Schlagwort gemacht habe“, habe dabei nicht an die Frauen gedacht. Als Beweis zitiert sie Heines Äußerung: „Was ist aber diese große Aufgabe unserer Zeit? Es ist die Emanzipation! Nicht bloß die der Irländer, Griechen, Frankfurter Juden, westindischen Schwarzen und dergleichen gedrückten Volkes, sondern es ist die Emanzipation der ganzen Welt, absonderlich Europas, das mündig geworden ist, und sich jetzt losreißt von dem eisernen Gängelband der Bevorrechteten, der Aristokratie.“ Zwar werden in diesem Text die Frauen nicht ausdrücklich genannt, aber auch nicht ausgeschlossen. Ich kenne auch keine Äußerung Heines, in der er den Frauen das Recht auf Emanzipation abspricht. Begründung, Laudatio und Dankesrede zur Preisverleihung nachzulesen im Internet unter: http://www.heinrich-heine-gesellschaft.de/index.htm

 

21) Denen, die meine Beurteilung nicht teilen, empfehle ich als Verbündeten die Schrift von Karl Kraus: „Heine und die Folgen“. Sie erschien im Dezember 1910 im Verlag Albert Langen, München. Kraus ergänzte im August 1911 den Aufsatz um ein „Vorwort“ und veröffentlichte ihn in seiner in Wien erscheinenden Zeitschrift Die Fackel Nr. 329/330, S. 1-33. Das 1917 verfasste „Schlusswort“ erschien in der Fackel 462-471, S. 76-78. Der Text im Internet unter: http://heinrich-heine.com/sche1.htm

 

22) Das sind wörtliche Zitate aus Maximilian Hardens Artikel "Der heilige Rock". In. Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches leben. Berlin: Stilke. September 1891. Nr. 18. Erneut abgedruckt in: Maximilian Harden. Hrsg. und mit einem Nachwort von Ruth Greumer. Berlin: Buchverlag Der Morgen. 1983. S. 79 - 83.

 

23) Siehe Anm.18.

 

24) Ebda.

 

25) Buch der Lieder. Band I. S.154.

 

26) Die Redezeit war auf 50 Minuten begrenzt (wurde aber dennoch reichlich überschritten).

 

27) Etwa drei Wochen nachdem ich den Vortrag gehalten hatte, erschien in der Tageszeitung "junge welt" ein Interview mit dem angesehenen Vormärz- und Heine-Forscher Christian Liedke, der dem Interviewer Thomas Giese bestätigt, dass die Behauptung, "Heine wäre am Lebensende zum Frömmler geworden" falsch sei. Ich glaube das auch nicht.

 

28) Zur Geschichte der Religion...Bd.IX, S.249.

 

29) In der Schrift "Zur Geschichte der Religion und Philosophie" berichtet Heine von seiner Beziehung zu Arnold Ruge, mit dem er - wie mit einer Reihe anderer Atheisten - befreundet war. Dort bezeichnet er sie als "gottlose Selbstgötter". Er empfiehlt ihnen, um seine neue Lage (die durch die Krankheit entstand) zu verstehen, das Buch Daniel des Alten Testaments zu lesen.

 

30) Der Text wurde 1843/44 (in derselben Zeit wie Das Wintermärchen, ebenfalls in Paris, verfasst. Das Zitat stammt aus der Einleitung „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“. Die Kritik erschien 1844 in der zusammen mit Arnold Ruge herausgegebenen Zeitschrift Deutsch-Französische Jahrbücher. In: Marx Engels Werke (MEW), Bd.1, S.378–391. Man beachte: Marx sagt nicht, wie er meist zitiert wird: Opium „für das Volk“, sondern „des Volks“, ein himmelweiter Unterschied.

 

31) In diesem Zusammenhang muss ich erwähnen, dass der Literaturwissenschaftler Dieter Arendt in seiner zwei Bände umfassenden Studie über den „poetischen Nihilismus in der Romantik“ (Tübingen 1972) damals Heine diesem Nihilismus zuordnet, aber den Seinen als radikaler bewertet als den der Romantiker. Diese Einschätzung ist nur richtig, wenn man - was Arendt heute nicht mehr tun würde - Heines Verhältnis zum Kommunismus ignoriert. Er glaubt in Heines Nihilismus „fast schon den Charakter der Konfession eines aktiven Nihilismus“ zu erkennen, begreift sein ironisches Spiel als freiwillige „Negation bzw. Vernichtung von Idealität und Realität“. Dieter Arendt, Bd.1. S.100- 103. Arendt hätte nur Heines über dessen bürgerliches Eigeninteresse hinausweisende Vorstellung berücksichtigen brauchen, dass nämlich die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung - auch wenn er in ihr für sich (subjektiv) nur Nachteile erkennen konnte - auf dem Weg zum Kommunismus sah, um Heines „aktiven Nihilismus“ als die politische, man könnte auch sagen, die revolutionäre Negation des herrschenden Massenelends zu deuten.

 

32) Vgl. dazu die Studie von Gerhard Bechtolt: Sinnliche Wahrnehmung von sozialer Wirklichkeit - Die multimedialen Montagetexte Alexander Kluges, Tübingen 1983. Die hier verwendeten Kriterien lassen sich auch auf die bildende Kunst übertragen und wären sehr wohl geeignet, auch Burgi Kühnemanns Heine-Jacke zu interpretieren.

 

33) de.wikipedia.org/wiki/Elisabeth_von_Österreich-Ungarn

 

34) Vgl. Paul Massing: Vorgeschichte des politische Antisemitismus, Frankfurt 1959.

 

35) Theodor Fritsch, Handbuch der Judenfrage, Leipzig : Hammer-Verlag, 1944, 49. Aufl. Ein übles Machwerk, auf das der Bewunderer der Sprache Heines, Friedrich Nietzsche, mit einer vernichtenden Kritik reagierte. „Es gibt gar keine unverschämtere und stupidere Bande in Deutschland als diese Antisemiten“ (Mehr dazu in Wikipedia unter: „Theodor Fritsch“).

 

36) Vgl. Anm. 32

 

37) Memoiren, XIII. S.215.

 

38) Geschichte der Religion....Band IX, S.164.

 

39) Geschichte der Religion....Band IX, S.167.

 

40) Ebda. S.168.

 

41) Ebda.

 

42) IX.S.185.

 

43) IX. S.199.

 

44) Vgl. dazu den Beitrag von Stefan Bodo Würffel: Geistige Bastillen und Tempel der Freiheit. Zur Konstruktion politischer Identität bei Heine im Spannungsfeld von Nationalismus und Kosmopolitismus. In: Aufklärung und Skepsis. Internationaler Heine-Kongreß 1997, Stuttgart u.a. 1999, S. 137-152.

 

45) Geschichte der Religion....Band IX, S.190.

 

46) Geschichte der Religion....Band IX, S.252.

 

47 Renate Staufs Habilitationsschrift wurde am TU-Institut für Deutsche Philologie, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Humboldt-Universität verfasst. Man findet die Mitteilung der TU-Pressestelle unter Medieninformation Nr. 269 - 4. Dezember 1997.

 

48) Zu dem hier ausgeblendeten Problem empfehle ich den - wenn auch etwas zu ausgewogenen - Aufsatz von Thomas Gutmann (Redakteur der Rheinischen Post): Heine nach 1945. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Hrsg. Bundeszentrale für politische Bildung, Nr.3.2006, S.25 - 33.

 

49) Franz Mehring: Aufsätze zur Deutschen Literaturgeschichte, Frankfurt am Main. S.204.

 

50 Alle dazu wichtigen Informationen ebda.

 

51) Grundelegende Forschung dazu: Dieter Arendt, Der poetische Nihilismus in der Romantik. 2 Bände. Tübingen 1972.

 

52) Grundlegend zu Frankreich: Frank Deppe: Verschwörung, Aufstand und Revolution. Auguste Blanqui und das Problem der sozialen Revolution im 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1970. - Zur Revolution von oben, H. See, Grundwissen eine kritischen Kommunalpolitik, Köln, 1975, S.76ff.

 

53) Wer sich für die sozioökonomischen Hintergründe der Dichtung des Vormärz interessiert, findet sehr gute Analyen in der von Arnold Hauser verfassten „Sozialgeschichte der Kunst und Literatur, München 1973, Kapitel VI.

 

54) Man lese nur in dem Werk „Lutetia“ (2. Teil) den Bericht vom 17. September 1842, um Heines Verhältnis zur Revolution, zur Arbeiterbewegung und zum Kommunismus mit seiner eigenen Analyse und Sprachkraft kennen zu lernen. Heine „Lutetia“ ist über das Internet erreichbar.

 

55) Vgl. dazu meine Studie zum Antisemitismus und Rassismus: Der Antisemitismus als nationalistisch-rassistischer Antikapitalismus – Erprobung eines neuen sozialökonomischen Theorieansatzes. In: Gudrun Hentges, Guy Kempfert, Reinhard Kühnl, Antisemitismus – Geschichte/Interessenstruktur/Aktualität, Heilbronn 1995.

 

56) Die Romantische Schule, S.122. In „Gottes eigenem Land“, den USA, wurde Heines Frage beantwortet, als die Aufschrift auf Dollar schmückte: In God we Trust. Ein Hinweis darauf, dass das Geld nicht nur nationale Identität herstellt, sondern auch Glaubensbekenntnis werden kann.

 

57) Almansor, Band IV.

 

58) http://www.rsb4.de/content/view/1670/81/ 61 Ebda.17

 

59) Ebda.

 

60) Verweist auf eine Abbildung in der Druckversion dieses Vortrags des Heine Clubs

 

61) Marx Engels Werke (MEW), Bd.1. Das Kapital, S.637. Dort schreibt Marx in der Anmerkung 63 nach einer polemischen Tirade gegen den englischen Utilitaristen Jeremias Bentham (1748–1832): „Wenn ich die Courage meines Freundes H[einrich]. Heine hätte, würde ich Herrn Jeremias ein Genie der bürgerlichen Dummheit nennen.“

 

62) Franz Mehring, Aufsätze zur deutschen Literatur, Frankfurt am Main, 1972, S.209.

 

63) Ein Beispiel dafür ist der Rückhalt, den Marx und andere Sozialisten und Kommunisten Heine gaben, als diesem der Vorwurf der Bestechlichkeit gemacht wurde, nachdem sich herausstellte, dass ihm der französische Staat unter Innenminister Guizot eine „Leibrente“ zahlte. François Pierre Guillaume Guizot (1787-1874) war ein umstrittener (antikommunistischer) französischer Politiker und weithin anerkannter Schriftsteller. Den Fall schildert Franz Mehring, S.207ff. Auch das Internet bietet dazu hinreichend Informationen.

 

64) Franz Mehring, a.a.O., S.210.

 

65) Aus seiner Vorrede zu der Sammlung seiner Berichte aus Paris an die Augsburger „Allgemeine Zeitung“, zitiert von Franz Mehring in: Aufsätze zur deutschen Literaturgeschichte, S.208ff.

 

66) Viele sozial engangierte Künstler haben Heines Werk interpretiert. Zwei, die mich besonders beeindruckten, sind der Komponist Hans-Karsten Raecke und der Schauspieler Lutz Görner. Görner hat (neben Schallplatten) ein großartiges "Heine-Lesebuch für Demokraten und solche, die es werden wollen" zusammengestellt und im Eigenverlag herausgegeben. Der Komponist Hans-Karsten Raecke hat das "Wintermärchen" vertont. Raecke war von 1972 bis 1975 Meisterschüler für Komposition an der "Akademie der Künste (Berlin), bei Paul Dessau, seine Wintermärchen-Komposition nennt er einen "einen musikalisch-dramatischen Zyklus für Stimmen und klangerweitertem Flügel". Wie lebendig Heine noch immer ist, bewies auch ein außergewöhnliches und Aufsehen erregendes Theaterprojekt des Frankfurter Theatermachers Willi Praml mit dem etwas umständlichen Titel: HEINE - wacht auf und erzählt seinem Freund Karl Marx, wie er im Traum in einem Kahn die Kurt-Schumacher-Straße rauf und runter fuhr. Stationen eines Traumas.